MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Pessach-Kolumne: Lasst unsere Leute gehen

in Die Schweiz in Israel/Israel Zwischenzeilen

Ich war in der fünften, sechsten Klasse, als unsere Musiklehrerin uns das Lied “Go down, Moses” beibrachte. Auch bekannt als “Let My People Go”. Erst viele Jahre später, nämlich, als ich 2006 mein erstes Pessach-Fest feierte, verstand ich, dass es darin um die Juden in Ägypten ging. Pessach beginnt nächste Woche, es ist der jüdische Feiertag, der den Auszug aus Ägypten feiert. Dort war das jüdische Volk versklavt und hat unter anderem die berühmten Pyramiden mitgebaut. Moses führte die Israeliten aus der Sklaverei heraus – in die Freiheit. Weil dieser Abgang relativ schnell vollzogen wurde, konnte das Brot der Juden in Ägypten nicht mehr fertigbacken und blieb ungesäuert. Und deshalb quälen wir uns nun einmal im Jahr für eine Woche mit Matzot herum, die wirklich, und hier übertreibe ich nicht, wie geriffelte Pappe schmecken.

In diesem Jahr ist Pessach besonders symbolisch. Let my people go. Dabei denkt jeder in Israel an die immer noch mehr als 100 verbleibenden Geiseln in Gaza. Dass sie in den letzten sechs Monaten zu einer Randnotiz verkommen sind, ist eine der grossen Tragödien in diesem Krieg.

Hat die Welt unsere Leute vergessen?

Nicht ein einziges Mal hat das Internationale Rote Kreuz sie besucht. Die Hamas konnte bisher nicht genügend unter Druck gesetzt werden, um eine Liste der noch lebenden Geiseln herauszugeben. Der Druck auf Hamas Geldgeber Iran und Katar ist nicht annährend gross genug, um Bewegung in die Waffenstillstandsverhandlungen zu bringen.
Wenn die Waffenstillstandsforderungen immer mehr und immer ausschliesslicher an Israel gerichtet sind, frage ich mich: Hat die Welt vergessen, wer immer wieder die Verhandlungen torpediert? Inzwischen forderten die Hamas-Terroristen SECHS Wochen Waffenstillstand BEVOR sie überhaupt auch nur einen unschuldigen Israeli gehen lassen wollen. Vor kurzem behaupteten sie, nicht einmal mehr 40 lebende Israelis in ihrer Gewalt zu haben, die die Kriterien weiblich oder krank und alt erfüllen. Das ist psychologische Kriegsführung wie es sie in diesem Ausmass noch nie gegeben hat. Hat die Welt vergessen, wie dieser Krieg angefangen hat? Und was eigentlich die Grundlage für irgendwelche Verhandlungen sein sollte? Nämlich LET MY PEOPLE GO?

“Bringt sie nach Hause“, Streetart auf dem Rotschild-Boulevard in Tel Aviv (Bild: KHC).

Sie heissen Noa und Liri und Matan und Hersh, sie heissen Eden und Naama und Farhan und Ohad. Sie heissen Shiri, Kfir, Ariel und Yarden. Der jüngste von ihnen ist gerade einmal ein Jahr alt. Der älteste ist 85. Sie sind seit mehr als 200 Tagen in der Hölle. Sie werden vergewaltigt und gefoltert, sie hungern und leben in konstanter Angst. Und während für uns alle das Leben weitergeht, ja selbst in gewisser Weise für uns Israelis, steht für sie und ihre Familien das Leben still.

Viele Israelis haben dieses Jahr bei ihrer Pessach-Seder einen Stuhl freigelassen, der an die entüfhrten Israelis erinnern soll. Es genügt aber nicht, wenn nur wir Israelis immer wieder an die Geiseln erinnern. Die Welt ist still geworden, aber mehr als 100 Israelis sind noch immer in der Hölle. An diesem Pessach, dem jüdischen Feiertag der Freiheit, bitten wir einmal mehr: Lasst unsere Leute gehen! Ihre Freiheit ist die Voraussetzung für unsere Zukunft.

Diese Kolumne wurde in ähnlicher Form zuerst im Newsletter der Autorin „Guten Morgen Tel Aviv“ veröffentlicht.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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