MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne: Die Furcht um die Shoa-Überlebenden

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Das Telefon ist mein bester Freund geworden. Als jemand, der weit entfernt von seinen Eltern, einem Grossteil seiner Familie und einigen sehr, sehr guten Freunden wohnt, war es das schon immer, aber in Zeiten von Corona besonders. Das Telefon ist mein Fenster zur Welt. Ich hänge bei Facebook, Instagram und Whatsapp ab, zoome und skype und facetime mit meinen Lieben und alles fühlt sich schon gleich nicht mehr ganz so schlimm an. Am Telefon höre ich auch, wie die Situation in Berlin, auf Rügen und in New York ist. Recht easy, richtig easy und absolut furchtbar.

Die New Yorker und wir in Tel Aviv stehen dabei auf der Seite derer, die das Virus extrem ernst nehmen, viele harte Massnahmen einhalten müssen und das aber auch gewissenhaft und ohne Proteste tun (lediglich die Telefonüberwachung hat in Israel einige Demonstrationen verursacht. Meine Berliner Freunde hingegen treffen sich weiterhin munter untereinander, fahren über Ostern quer durchs Land zu ihren Familien und beschweren sich lautstark darüber, dass die Kitas immer noch zu haben. Sie entwerfen und unterschreiben Petitionen für ein „Corona-Elterngeld“ und lassen sich als „systemrelevant“ einstufen, nur um ihre Kinder wieder in die Betreuung zu bekommen. Mich, die ich in Tel Aviv seit nunmehr sechs Wochen niemanden ausser meinem Mann und meinen beiden Söhnen gesehen habe, halten sie für etwas verrückt. Und ganz abgesehen davon, dass ich das nachdem diese Ausnahme-Isolation schon so lange anhält, ganz bestimmt auch bin, ich bin in Israel keine Ausnahme.

Auf gutes Zureden meiner besten Freundin in Berlin hin, versuchte ich Anfang dieser Woche ein Corona-sicheres Date mit einer meiner Tel Aviver Freundinnen zu planen – „Wir sitzen auf dem Dach, mit Masken, zwei Meter voneinander entfernt, natürlich umarmen wir uns nicht“ redete ich auf meine Lieblingsfrauen ein – aber niemand sagte zu. Eher fühlte ich mich schnell, als sei ich völlig wahnsinnig, dass ich mich überhaupt verabreden wollte – in diesen Zeiten. Als ich das wiederum meiner BFF in Berlin erzählte, lachte die nur und fragte sich, warum sich die Israelis, die sich sonst doch nie an irgendwelche Regeln hielten, bei Corona plötzlich ins Hemd machten. Naja, sagte ich, wir sind eben kriegserprobt, wir wissen, was es heisst, Dinge wie Freiheit auch mal aufzugeben, ausserdem ist diese Gesellschaft hier viel kollektivistischer. Eines der grossen Phänomene in diesem Land ist nämlich, dass Israelis im Alltag so wahnsinnig egoistisch und rücksichtslos sein können, aber wenn es darauf ankommt, ohne Wenn und Aber füreinander da sind. Der Zusammenhalt hier ist in Notsituationen viel viel grösser als der Zusammenhalt, den ich aus der deutschen Gesellschaft kenne. Natürlich ist der Vergleich unfair, Israel ist ein junges Miniland quasi im Dauerkriegszustand seit seiner Gründung – es ist eine Insel und ein einzigartiges Projekt, da entsteht nun mal ein anderes „Wir“-Gefühl.

Der Tel Aviver Strand ist leer – trotz blauem Himmel und sommerlichen Temperaturen (Bild: KHC).

Aber es ist auch noch etwas anderes: Während man in Deutschland zuweilen das Gefühl hat, die Alten, die ja am ehesten an COVID-19 sterben, sind den meisten Menschen egal, sind sie es den Israelis nämlich nicht. Als bekannt wurde, dass der erste Corona-Tote in Israel ein Überlebender der Shoa war, lief es sicherlich nicht nur mir kalt den Rücken runter. Mittlerweile sind fast 200 Menschen in Israel an dem Virus gestorben und eine ganze Menge von ihnen waren Holocaust-Überlebende. Das schmerzt besonders, wenn man bedenkt, dass es sowieso nur noch wenige Überlebende gibt. Man kann also gar nicht anders, als sich in diesen Tagen in Israel an die strengen Regeln zu halten, auch um diese Menschen im Besonderen zu schützen.

Wenn wir in dieser Woche den Jom HaShoa begehen, werden wir sicherlich auch viel darüber sprechen, wie es den Überlebenden in diesen schwierigen Zeiten geht. Ich selbst habe mich in einem Projekt der tollen Organisation „Adopt-A-Safta“ angemeldet, um regelmässig mit einem Holocaust-Überlebenden zu telefonieren, denn viele von ihnen vereinsamen in Corona-Zeiten, in denen sie niemand mehr besuchen darf. Es ist nicht viel, aber das einzige, was ich tun kann im Moment. Und weiterhin zu Hause bleiben natürlich.

Israel bleibt zuhause – auch um die Älteren im Land zu schützen (Bild: KHC).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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