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Die alleingelassenen Kinder der Shoa

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In dem eindrücklichen Dokumentarfilm „Mama, Papa, warum habt ihr mich alleine zurückgelassen?“ wird die Geschichte der „Alleingelassenen Kinder“ des Zweiten Weltkriegs erzählt. Der Film beginnt mit Zitaten von all den Kindern, die im Holocaust von ihren Eltern entweder in nicht-jüdischen Familien gebracht oder in einen der sogenannten Kindertransporte gesetzt wurden – alle dieser Zitate enden mit den Worten „und dann war ich allein“. Im Besonderen erzählt der Film die Geschichte von Ariel Eder: Ariel wurde in einer nicht-jüdischen Familie versteckt, nachdem seine Eltern 1942 ohne ein Wort an ihn Antwerpen verlassen hatten und in die Schweiz geflohen waren. Fast 3 Jahre später wurde Ariel mit seinen Eltern wiedervereint. Doch in der Zwischenzeit hatte sich viel verändert. Auf der einen Seite waren die Eltern gewesen, geplagt von ihrer Ungewissheit über das Schicksal des eigenen Kindes, vom Wunsch, es wieder bei sich zu haben – aber sicher auch von Schuldgefühlen, ihr Kind zurückgelassen zu haben. Auf der anderen Seite stand Ariel, der in der Normandie versteckt worden war und bei Pflegeeltern elterliche Wärme und Liebe fand, was er später mit den Worten beschrieb: „Ich hatte zwei Mütter“. Seine Zieheltern Georgette und Pierre Lefrançois wurden als „Gerechte unter den Völkern“ in Yad Vashem geehrt.

Der kleine Ariel Eder: Mit vier Jahren während der Shoa zurück- und alleingelassen von seinen Eltern (Bild: Screenshot aus dem Film).

Die Geschichte von Ariel ist ein Beispiel für das Schicksal der tausenden „Versteckten Kinder“ der Shoa. Der Dokumentarfilm widmet sich zu Beginn diesen Kindern im Allgemeinen, er zeigt die Gefahren für die Kinder aber auch für die vielen mutigen Menschen, die sie in ihren Häusern versteckten, auf. Er zeigt auch die Probleme, die nach der Wiedervereinigung auftraten, wenn ein oder beide Elternteile überlebten.

Der Film beleuchtet einen bisher wenig bekannten Aspekt der Holocaust-Geschichte (Bild: Screenshot aus dem Film).

Dafür verwendet der Film viele Originaldokumente, die bisher noch weitgehend unbekannte Fakten verdeutlichen und somit einen bisher wenig beleuchteten Teil der Holocaust-Geschichte in den Fokus stellen. Das liegt auch daran, dass viele der „Versteckten Kinder“ sich ihre eigene Überlebensgeschichte erst später erschlossen.

Im Film werden auch viele Helfer vorgestellt

Der Film, der von einem Team von Freiwilligen konzipiert und produziert wurde, widmet sich einem der schmerzhaftesten Aspekte der Shoa: Selbst Kinder wurden von der Verfolgung der Nazis nicht verschont. Etwa 1,5 Millionen Kinder wurden im Holocaust ermordet. Wieviele Kinder den Massenmord an den Juden als „Versteckte Kinder“ überlebten, ist unklar, weil einige zwangskonvertiert wurden und ihre Herkunft vielleicht nie vollständig herausfanden. Oft waren die Kinder so klein, dass sie ihre ursprünglichen Namen nicht mehr kannten. Im Film werden aber viele Helfer vorgestellt, die auf beeindruckende Weise um das Leben jüdischer Menschen kämpften. Dazu gehörten u.a. die religiöse Jüdin Recha Sternbuch, die mit ihrem Mann Izchak, tausende Juden rettete. Und die furchtlos viele jüdische Kinder aufspürte, rettete und später auch dabei half, sie mit ihren Eltern zu vereinen.

In dieser Woche wurde in Israel der Jom HaShoa begangen. Der Gedenktag widmet sich der Erinnerung an die 6 Millionen Juden, die während des Holocausts ermordet wurden. Für viele Israelis ist der Jom HaShoa in diesem Jahr besonders schwer. Das Trauma vom 7. Oktober, an dem so viele Juden an einem Tag ermordet wurden, wie seit der Shoa nicht mehr, wiegt schwer. Die Eindrücke vom 7. Oktober, die Bestialitäten, die Vergewaltigungen, die Brutalität – all das hat in Israel Erinnerungen an den Holocaust geweckt. Die Sorge um die Menschen, die noch immer in Gaza in Hand der Terroristen sind, ist zusätzlich unerträglich. Zusätzlich besorgt viele der Blick in die Welt, auf der der Antisemitismus wütet, als hätte es die Shoa nie gegeben.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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