MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kommentar: Auf Israels Strassen muss sich dringend etwas ändern

in Israel Zwischenzeilen/Wirtschaft & Innovation

Es vergeht kein Morgen, an dem ich nicht an der Kreuzung zur Schule meines Sohnes stehe und ein Bus voll bei Rot fährt und an den wartenden Kindern, die bereits grün haben, vorbeirauscht. Es vergeht kein Tag auf einer israelischen Autobahn, an der nicht jemand plötzlich, ohne zu blinken, die Spur wechselt, maximal knapp natürlich, so dass man fast eine Vollbremsung einlegen muss. Der Fahrstil der Israelis ist berühmt berüchtigt, sie fahren so wie sie leben – aber lustig ist das Ganze schon lange nicht mehr. Im vergangenen Jahr gab es mit 361 israelischen Verkehrstoten die höchste Zahl an Verkehrstoten seit 2017; fast jeden Tag kam ein Mensch ums Leben, darunter 56 Fahranfänger.

Nach Angaben der Regierung sind es vor allem Männer, die mit ihrem rücksichtslosen Fahrstil andere in Gefahr bringen, weil sie glauben „dass sie anständige und vorsichtige Fahrer sind und ihr Fahrzeug auch bei Geschwindigkeitsüberschreitungen gut unter Kontrolle haben.“ Was heisst das für mögliche Massnahmen? Genau, dass man sich vor allem an eben diese Männer wenden muss. Aber während ich aus Deutschland unzählige Kampagnen zur Sicherheit auf den Strassen kenne, Plakate an Autobahnen, die vor dem Handy am Steuer oder auch der Raserei warnen, habe ich in Israel so etwas noch nie gesehen. Stattdessen wird man von den meisten Israelis milde belächelt, wenn man sich über die kriegsartigen Zustände auf Israels Strassen beschwert. Lassen Sie es mich so sagen, Israel ist ein Land, das um Opfer von Terrorismus und Krieg in einem eigens dafür eingeführten Feiertag trauert, aber für seine Verkehrstoten (und dass sind natürlich viel mehr in der Anzahl) nicht einmal einen Blumenstrauss an der Fahrbahn hinterlässt. Geschweige denn darüber in den Medien grossartig berichtet.

Zu viele Unfälle: Israels Strassen sind nicht sicher (Bild: Pixabay)

Hier braucht es einen radikalen Paradigmawechsel, es braucht regierungsinitiierte Kampagnen und vor allem Vorbilder: Neulich sah ich wie eine Polizeistreife (ohne Blaulicht wohlgemerkt), andere Wagen abdrängte und schliesslich zur Krönung auch noch bei rot über eine Kreuzung ballerte – das kann doch nicht sein! Ich glaube also, nicht nur in den Grundschulen sollte man das Fach „Sicherheit auf der Strasse“ lehren (denn das gibt es immerhin in Israel), sondern auch in der Polizeischule. Und in sämtlichen Busunternehmen, unter den vielen Logistik-LKW-Fahrern und in den vielen Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden Firmenwagen zur Verfügung stellen. An manchen solcher Autos sieht man einen Sticker mit den Worten „Wie fahre ich?“, versehen mit einer Telefonnummer, bei der man sich gegebenenfalls beschweren kann – ob das wirklich etwas bringt, kann ich nicht beurteilen. Angerufen habe ich bei diesen Nummern aber schon des öfteren (als Beifahrerin natürlich).

Israels Verkehrsstaus gehören zu den schlimmsten unter den Industrieländern

Aber es ist nicht nur die Lebensgefahr, die einen am israelischen Verkehr in den Wahnsinn treibt: Israels Verkehrsstaus gehören zu den schlimmsten unter den Industrieländern. Es gibt quasi keine Zeit und fast keine Strasse, vor allem im Zentrum des Landes, die man jemals entspannt und ohne Mega-Staus befahren kann. Immerhin dafür will das AI (künstliche Intelligenz)-Startup ITC nun eine Lösung gefunden haben:

„ITC konnte mathematisch nachweisen, dass viele Staus vermieden werden können, wenn man früh genug eingreift“, erklärt der Mitbegründer und Chief Technology Officer Dvir Kenig und verweist auf einen 30-prozentigen Rückgang des Verkehrsaufkommens an den beiden Kreuzungen, an denen das von seinem Unternehmen entwickelte System eingesetzt wurde.

ITC (Intelligent Traffic Control) war einer der Akteure im Bereich der künstlichen Intelligenz auf der jüngsten EcoMotion-Messe in Tel Aviv, auf der Hightech- und AI-Firmen Lösungen vorschlugen, die den Verkehr effizienter und sauberer zu machen. Die AI-Software von ITC sammelt Echtzeitdaten von Strassenkameras und sendet dann Anweisungen zur Steuerung von Ampeln auf der Grundlage der Fahrzeugströme.

Immerhin etwas. Aber leider werden israelische Start-ups oft nur dann innovativ, wenn es darum geht, Geld zu generieren. Die vielen Toten auf Israels Strassen haben mit ihrem Leben bezahlt – das sollte Entwickler genug Motivation sein, den Verkehr dieses Landes mit einfallsreichen Lösungen sicherer zu machen.

Staus und stockender Verkehr gehören in Israel zum Autofahren dazu (Bild: KHC)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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