Micha Gross, 60 Jahre, Leiter des Bauhaus-Zentrums, kam 1994 nach Israel, hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau in Tel Aviv.
ZZ: Deine Frau ist Israelin, du bist Schweizer. 1994 habt ihr Aliya gemacht und seid nach Israel gegangen. Wie war das?
Micha: Ich hatte vorher schon einmal in Israel gelebt und am Technion im Bereich Schlafforschung geforscht, ich bin ja eigentlich Psychologe. Dann zogen wir für einige Jahre nach Zürich, bis meine Frau zurück wollte. Und das war dann schon nicht einfach. Der Alltag hier war so anders.
ZZ: Du hast auch die zweite Intifada voll miterlebt…
Micha: Ja das war natürlich schlimm, als hier in Tel Aviv plötzlich alles explodierte. Aber persönlich fiel es mir viel schwerer, mit dem Alltag klarzukommen. Jeder kennt sicher die hoffnungslosen Situationen, in denen man sich hier als Einwanderer manchmal befindet. Einerseits ist alles viel offener, andererseits fällt man ohne Sicherheitsschutz, wenn etwas nicht funktioniert.
ZZ: Israel ist, was den Umgang der Menschen miteinander angeht, ganz anders als die Schweiz…
Micha: Eben. Es ist so ein junges Land, hier gibt es keine Verhaltensregeln, das ermöglicht eine tolle Kreativität. Es ist ein wenig wie Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Viel mehr als in der Schweiz, wo Traditionen und Regeln Neuerungen erschweren. Gleichzeitig fehlt aber auch etwas, was ich die ’soziale Fantasie‘ nenne. Die Idee, dass es noch eine Umwelt und andere Menschen gibt, dass man zusammenarbeiten muss und gesellschaftliche Verantwortung hat – das kommt in Israel oft zu kurz.
ZZ: Du hast dann auch mit deiner Beschäftigung mit Bauhaus eine ganz neue berufliche Richtung im Land eingeschlagen. Wie kam es dazu?
Micha: Meine Frau ist Geografin und wir begannen, uns für die Bauhaus-Architektur zu interessieren. In den 90er Jahren gab es dafür ja noch gar kein Bewusstsein im Land. Wir boten Touren an und merkten, dass die Leute mehr und mehr darüber wissen wollten. Da beschlossen wir, ein Zentrum zu eröffnen. Das war vor zwanzig Jahren!
ZZ: Wahnsinn. Inzwischen hat sich das geändert, Bauhaus ist in.
Micha: Absolut. Die Aufwertung durch den Titel „Weltkulturerbe“ für die Weiße Stadt hat die Stadt gerettet, meiner Meinung nach. In Israel wird meist nur aus zwei Gründen in Dinge investiert: Es muss wirtschaftlich sein oder religiös. Das Bauhaus bringt Touristen und deshalb wurde endlich in die Sanierung der Gebäude investiert.
ZZ: Du bist schon so lange hier und planst wahrscheinlich auch nicht noch einmal wegzugehen. Aber warst du mal an einem Punkt, wo du aufgeben wolltest?
Micha: Definitiv. Im Gaza-Krieg 2014. Da traf uns plötzlich in einer eigentlich sehr prosperierenden Zeit der Schlag. Alles brach ein. Es kamen keine Touristen mehr, aber auch keine Israelis. Unser Laden, das Zentrum, alles blieb leer. Wir hatten aber weiterhin die gleichen Kosten – da war ich kurz davor, alles hinzuwerfen.
ZZ: Zum Glück seid ihr geblieben. Euer Zentrum ist so beliebt, als ich gerade kam, war es unten sehr gut besucht.
Micha: Ja, zum Glück. Israelis sind nicht immer die einfachsten Kunden, aber wir lieben unsere Nachbarschaft hier. Die Leute kommen zu uns, wenn sie Souvenirs kaufen wollen, alle freuen sich über unser Zentrum. Wir sind ein wichtiger Angelpunkt im Quartier und das fühlt sich toll an.
ZZ: Was sollte man sich in Israel unbedingt anschauen beim ersten Besuch?
Micha: Tel Aviv und Jerusalem. Beide Städte sind so faszinierend, jede Stadt hat einen ganz eigenen, anderen Charakter als die andere. Ich glaube durch diese Dualität bekommt ein gutes Bild vom ganzen Land.
ZZ: Vielen Dank für das Gespräch!
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