Yuval Raphael hat das Nova-Festival überlebt. Sie hat eine Wahnsinns-Stimme. Und ein Lächeln, das mitreisst. All das wurde jedoch zur Nebensache, als Raphael in dieser Woche im Vorfeld des Eurovision Song Contest mit ihrem israelischen Team die Bühne in Basel betrat: Sogenannte pro-palästinensische Demonstranten (ich schreibe „sogenannte“, denn wir alle wissen, dass es ihnen am wenigstens um das Wohl der Palästinenser geht) hatten sich unter das Songcontest-Publikum gemischt, um lautstark gegen die 24-jährige Vertreterin Israels zu protestieren. In einem Video, das ein Mitglied der israelischen Delegation aufgenommen hat, ist ein Mann zu sehen, der eine palästinensische Flagge schwenkt, eine Keffiyeh trägt, eine Geste macht, als würde er sich die Kehle durchschneiden, und in Richtung der israelischen Delegation spuckt.
Sivan Yang, die die Geste filmte, erklärte, es habe Momente gegeben, in denen sie um ihr Leben gefürchtet hätten.
Die örtliche Polizei ging nicht auf den Vorfall ein, den die israelische Delegation als „Morddrohung“ bezeichnete. Auch haben israelische Beamte bislang keine Antwort auf ihre Beschwerde über die eigentlich untersagten Proteste erhalten.

Die israelische Delegation konzentriert sich unterdessen ganz auf Yuval Raphael. Schon vor dem Vorfall am Sonntag hatte sie entschieden, die Medienpräsenz zu begrenzen – Interviews gibt es nur am Montag und Dienstag. Weitere Gespräche sind erst nach dem Finale geplant. Ein ungewöhnlicher Schritt: Frühere Teilnehmer wie Noa Kirel gaben auch nach dem Halbfinale Interviews. „Wir schützen Yuvals Stimme – und Yuval selbst“, heisst es aus Delegationskreisen.
Während eine junge israelische Frau, die ein Massaker überlebt hat und nun ihr Land in einem dezidiert nicht politischen Gesangswettbewerb vertritt – wohlgemerkt nicht Netanjahu, nicht das Militär, nicht die Regierung, sondern Israel – während sie also „New Day Will Rise“ singt, schiesst in den Streaming-Charts ein Song nach oben, in dem Kanye West „Heil Hitler“ brüllt. Mittlerweile haben die meisten Streamingdienste das Lied zwar gesperrt, bei X wird das Video dazu aber immer noch millionenfach angeklickt.
Zwei Geschichten aus der Musikindustrie, die für eine erschütternde Entwicklung stehen: Judenhass ist wieder salonfähig geworden. Was klingt wie aus einer fiktiven Netflix-Dystopie über eine antisemitische Zukunft, ist die Realität unserer Gegenwart: Ein „Heil Hitler“-Song in den Charts – und eine junge jüdische Frau, die in aller Öffentlichkeit mit dem Tod bedroht wird. Und niemand rastet aus. Kein Shitstorm, keine Brands, die sich distanzieren, keine Politiker mit zerknirschtem Blick in Talkshows. Es ist einfach nur passiert. Als wäre es ganz normal.
Judenhass als Hintergrundmusik.