Simon Geissbühler ist seit August der neue Schweizer Botschafter in Israel. Simon Geissbühler wurde 1973 in Bern geboren. Nach seinem Militärdienst studierte und promovierte er in Geschichte und Politikwissenschaft an der Universität Bern. Im Jahr 2000 trat er in den diplomatischen Dienst der Schweiz ein. Seitdem absolvierte er Stationen u.a. in Mexiko, Rumänien und Polen. Er war stellvertretender Leiter der Abteilung für Amerika und Leiter der Sektion für ausländische Interessen des EDA, die das Schutzmachtmandat der USA im Iran abdeckt. Von 2020 bis 2024 war er im Rang eines Botschafters Leiter der Abteilung für Frieden und Menschenrechte des EDA.
Israel Zwischenzeilen (ZZ): Herr Botschafter, willkommen in Israel. Wie sah Ihr Verhältnis zu Israel aus, bevor Sie als Botschafter ins Land berufen wurden? Gab es Besuche in der Vergangenheit? Was bedeutet Ihnen das Land?
Botschafter Simon Geissbühler (SG): Ich war in der Vergangenheit mehrere Male in Israel, als Privatperson und als Forscher. Als Historiker habe ich mich intensiv mit der osteuropäisch-jüdischen Geschichte und der Shoa, im Besonderen in den Gebieten Bukowina und Bessarabien, auseinandergesetzt und bin mehrmals nach Israel gekommen, um in Yad Vashem zu forschen. Einmal wurde ich sogar eingeladen, einen Gastvortrag in Yad Vashem zu dem Thema zu halten, das war eine grosse Ehre.
ZZ: Woher kommt Ihr Interesse an der ostjüdischen Shoa-Geschichte?
SG: Ich habe auf dem Gymnasium die Romane von Isaac Bashevis Singer sehr gerne gelesen. Er schrieb ja viel, eigentlich auf Jiddisch, über das Schtetl, die „jüdische Grossstadt“ Warschau… Von 2007 an war ich erst Gesandter in Rumänien und danach in Polen, meine Frau kommt aus der Ukraine – da gab es viele Berührungspunkte und da ist bei mir das Bedürfnis entstanden, auch als Historiker, das jüdische Erbe zu dokumentieren. Inzwischen habe ich mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht. Trotzdem, mir ist es wichtig zu sagen: Meine Eingangspforte nach Israel mag die Shoa gewesen sein, aber es wäre falsch, mein Interesse für Israel auf den Holocaust zu reduzieren. Ich habe in den letzten Jahren die Abteilung für Frieden und Menschenrechte im Departement für auswärtige Angelegenheiten in Bern geleitet und in dieser Funktion vor zwei Jahren Israel besucht. Damals war ich auch in Gaza, in der West Bank, in Jerusalem und habe Israel als ein Land mit einer bewegten, komplizierten Geschichte wahrgenommen. Eine Mosaikgesellschaft, eine fragile Demokratie, eine Start-up-Nation mit gesellschaftlichen Gräben. Eine Militärmacht. Aber vor allem ein Land mit viel Resilienz. Dem begegne ich nun mit grossem Interesse, als Diplomat mit kritischer Empathie.
ZZ: Sie treten Ihre neue Stelle in einem de facto Kriegsgebiet an. Mit welchen Ängsten sind Sie gekommen?
SG: Ich bin nicht mit Ängsten gekommen. Ich war in vielen Kriegsgebieten, in Bagdad, der Ukraine, in Nigeria. Hier in Tel Aviv lebt man sicherlich seit dem 7. Oktober in einer schwierigen Situation, aber es ist eben nicht Kiryat Shmona. Meine Frau, die den Krieg in der Ukraine erlebt hat, hat hingegen schon eher Angst, wenn es einen Raketenalarm gibt. Mit ihr habe ich natürlich vorher sehr genau abgewägt, ob wir das als Familie machen.
ZZ: Welche Ziele haben Sie für Ihre nächsten Jahre in Israel? Worauf wollen Sie bei Ihrer Arbeit besonders fokussieren?
SG: Man lernt in Israel rasch, dass hier alles sehr dynamisch ist. Ein Vier-Jahres-Plan ist unrealistisch und hindert einen meines Erachtens nur daran, offen zu bleiben. Die Interessen und Werte der Schweiz geben den Rahmen meiner Arbeit vor. Schwerpunkte sehe ich in der Politik und der Sicherheitspolitik und auch in der Friedenspolitik. Ein Ansatzpunkt ist für mich aber auch die Holocausterinnerung. Auch das Thema Antisemitismus liegt mir am Herzen.
ZZ: Wie sehen Sie den Status der israelisch-schweizerischen Beziehungen im Moment? Wo gibt es Verbesserungsbedarf?
SG: Nach dem 7. Oktober gab es in der Schweiz viel Solidarität mit Israel. Mit dem anhaltenden Krieg in Gaza wurde die Haltung kritischer. Der Krieg schränkt unseren Handlungsspielraum natürlich ein. Ich glaube, es gibt viel Potential in der Beziehung Schweiz-Israel. Vor allem auch im Bereich Innovation, da haben sowohl die Schweiz als auch Israel sehr viel zu bieten.
ZZ: Hier zu leben ist ja noch einmal anders, als hier zu Besuch zu sein. Was ist Ihnen in Ihren ersten Wochen besonders in Israel aufgefallen? Welche ersten Eindrücke stechen für Sie heraus?
SG: Was mir sofort in Israel aufgefallen ist, ist die Direktheit. Die Unkompliziertheit und das Improvisationsvermögen. Aber auch eine gewisse Härte im Umgang. Es wird laut gestritten, sicherlich auch ein Zeichen der lebendigen Demokratie. Auch die Vielfalt im Land unterschätzt man leicht, wenn man nicht hier lebt. In meiner kurzen Zeit hier habe ich schon mit dem einzigen drusischen Knesset-Abgeordneten und dem wichtigsten arabischen Politiker des Landes zusammengesessen und war bei einer sephardisch-orthodoxen Hochzeit. Ich war in Nazareth und habe mich dort mit arabisch-israelischen NGOs getroffen und habe schon drei Mal das Grenzgebiet zu Gaza besucht, im Besonderen Nir Oz und Sderot, die vom Hamas-Angriff am 7. Oktober stark betroffen waren.
ZZ: Herr Botschafter, vielen Dank für das Gespräch!