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Kommentar: Israelis gehen für Ukraine auf die Strasse – aber ist das genug?

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Auch in Tel Aviv sind in den letzten Tagen tausende Menschen für die Ukraine, und gegen die Invasion Russlands auf die Strasse gegangen. Vyacheslav Feldman, Gründer der Protestorganisation „Israelische Freunde der Ukraine“, die die Demonstration organisiert hat, sagte der Zeitung Times of Israel, dass die erste Priorität sei, „den Krieg zu stoppen“ und die zweite, die israelische Regierung dazu zu bewegen, eine aktivere Rolle in dem Konflikt einzunehmen. Israel steht der Ukraine traditionell wegen der grossen jüdischen Bevölkerung in dem Land, und vieler ukrainischer Juden, die nach Israel eingewandert sind, emotional nah, nicht zuletzt ist sogar der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj selbst jüdisch. Israel ist aber auch auf russisches Wohlwollen angewiesen, was die komplexe politische Lage in Syrien und die damit verbundenen eigenen Sicherheitsinteressen angeht – und so bot Premierminister Naftali Bennett zwar seine Hilfe bei Verhandlungen zwischen den beiden Ländern an, lehnte Waffenlieferungen an die Ukraine aber erst einmal ab.

Viele Ukrainer haben ein Anrecht auf israelische Staatsbürgerschaft

Gleichzeitig bemüht sich Israel, den Ukrainern, die ein Anrecht auf Aliya (jüdische Einwanderung nach Israel) haben und nach Israel wollen, den Weg so leicht wie möglich zu machen und hilft aktiv dabei, Ukrainer aus dem Land zu evakuieren. 100 Ukrainer mit jüdischen Wurzeln konnten allein am letzten Wochenende mit Hilfe der Jewish Agency das Kriegsgebiet verlassen. Wenn sie einen Weg aus dem Land, in dem es keinen regulären Flugverkehr mehr gibt, finden, könnten viele weitere Ukrainer folgen. Eine demografische Erhebung von 2020 schätzt, dass insgesamt fast 250.000 Ukrainer theoretisch für eine Aliya in Frage kommen, weil sie über jüdische Wurzeln verfügen. Der Europäische Jüdische Kongress gibt an, die Zahl könnte sogar deutlich höher, bei etwa 400.000 Menschen liegen. Auch in Israel selbst wurden die Visa für ukrainische Touristen erst einmal auf zwei weitere Monate verlängert. Bennett sagte dem Land ausserdem humanitäre Hilfe zu.

Währenddessen spielt sich auf einem Nebenschauplatz ein anderer Konflikt ab: Nachdem die Sanktionen gegen Russland mehr und mehr verschärft wurden, und die USA und Gross-Britannien forderten, auch Oligarchen wie Roman Abramovich härter zu strafen, mischte sich das israelische Shoa-Museum Yad Vashem in die Diskussion ein. Weil das Museum Spenden in Millionenhöhe von Abramovich erhalten hatte, setzte es sich nun öffentlich gegen Sanktionen gegen den Oligarchen ein. Eine Aktion, die viel Kritik erntete – gerechtfertigterweise, vor allem wenn man bedenkt, dass der Vorsitzende von Yad Vashem, Danny Dayan, erst im vergangenen Monat gegenüber der Zeitung Haaretz erklärte, dass die Abhängigkeit von privaten Spendern die Unabhängigkeit des Museums und Bildungszentrums untergraben könnte.

In der Zwischenzeit hat Israels Aussenminister Yair Lapid immerhin bestätigt, dass Israel die Verurteilung Russlands bei der UN-Generalversammlung unterstützen wird, man wolle, so Lapid „auf der richtigen Seite der Geschichtsschreibung stehen“.

Viele tausende Menschen sind in den vergangenen Tagen aus Solidarität mit der Ukraine in Tel Aviv auf die Strasse gegangen. (Bild: Arielle Sibony)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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