Der Monat September steht in Israel ganz im Zeichen jüdischer Feiertage: Erst wird mit Rosh Hashana der Eintritt in das neue jüdische Jahr begangen, daraufhin folgt Jom Kippur, der Fasten- und höchste Feiertag des Judentums und schlussendlich wird in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten die Sukka, die Laubhütte, gebaut, um dort möglichst viel Zeit gemeinsam zu verbringen.
Besonders die zehn Tage zwischen Rosh Hashana und Jom Kippur, „Tage der Ehrfurcht“ genannt, eine Zeit, in der jeder jüdische Mensch über seine Taten des letzten Jahres nachdenken und um Vergeben für die weniger guten bitten kann, stellen eine besondere Zeit dar. Die Idee, dass Gott in einem Buch festschreiben wird, wie unser kommendes Jahr aussehen wird, ob wir leben oder sterben, glücklich oder unglücklich sein werden, ist so fest verankert, dass sich auch nicht besonders religiöse Menschen vor Jom Kippur eine „Gmar Chatima Tova“ wünscht – eine gute Unterschrift. Es ist aber eine zutiefst jüdische Idee, dass das Urteil welches Gott über uns an Rosh Hashana gefällt hat, nicht endgültig ist. Dass wir ganze zehn Tage der Ehrfurcht Zeit haben, in uns zu gehen. Uns unserer Fehler bewusst zu werden. Entschuldigungen auszusprechen. Versöhnung zu erbitten. Dass Gott uns Gnade erweisen wird, wenn wir nur anerkennen, wo wir falsch lagen und wen wir damit verletzt haben. Es ist auch die Zeit für Spenden und großzügige Taten.
Dass viele Menschen in Israel auf Unterstützung angewiesen sind, zeigt eine neue Statistik der Nationalen Versicherungsanstalt: Bereits 2018 lebten ganze 21,2 Prozent der israelischen Bevölkerung in Armut, fast 30 Prozent der Kinder im Land. Die Pandemie hat diese Lage nur noch verschärft: Auf dem Höhepunkt der Corona-Krise waren mehr als eine Million Israelis arbeitslos. Etwa 155.000 Menschen sind in die Armut abgerutscht. All diese Israelis, jedes dritte Kind im Land, werden über die Hohen Feiertage vielleicht nicht genug zu essen haben. Sie werden kaum Zeit haben, sich auf den spirituellen Teil der Feiertage zu konzentrieren, denn sie werden ums blanke Überleben kämpfen müssen.
Spendeneinrichtung wie „Leket“, eine israelische Version der „Tafeln“, bei denen überschüssige, qualitativ einwandfreie Lebensmittel gerettet und an Menschen, die in Not sind, verteilt werden, rufen deshalb besonders in diesen Tagen dazu auf, den Schwächeren in der israelischen Gesellschaft zu helfen. Ja, Israel ist ein höchst beeindruckendes, erfolgreiches Land. Es ist die Start-up-Nation, in der selbst während der Pandemie Millionendeals erfolgreich abgewickelt wurden. Auch hier sind die Reichen während Corona nur noch reicher geworden. Aber Israel ist auch das Land, das im OECD-Vergleich mit die höchste Kinderarmut hat. Es ist das Land, in dem 25 Prozent der Holocaust-Überlebenden in Armut leben. In dem in großen Städten wie Tel Aviv und Jerusalem die Zahl der Obdachlosen stetig wächst. In dem große Teile der Gesellschaft, vor allem in der ultraorthodoxen und arabischen Gemeinde, nicht wissen, wie sie die enorm hohen Lebenshaltungskosten im Land bestreiten sollen. In dem Eltern rund um die Uhr arbeiten und ihren Kindern trotzdem keine tollen Spielsachen kaufen können.
Das ist immer schlimm. Aber in den kommenden Festtagen, in denen sich, wie bei allen jüdischen Feiertagen, auch sehr viel ums Essen dreht, schmerzt es besonders.
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