MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne: Unerwarteter Besuch

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Es war Samstagabend kurz vor Sukkot (das jüdische Laubhüttenfest), ich war gerade auf dem Weg vom Bad zum Sofa, als mich eine beunruhigende Szene stoppte: Alle drei unserer Katzen machten ihr „Wir-waren-das-nicht“- Gesicht. Ein paar Sekunden später entdeckte ich den Grund dafür: mitten in unserer Wohnküche lag ein kleiner Vogel auf dem Boden. Regungslos. Um ihn herum viele kleine Federn. Meine erste Reaktion in solchen Fällen ist natürlich der schrille Schrei nach meinem Mann, der dann auch sofort – im Karateanzug, er trainiert allabendlich – die Treppe heruntergestürzt kam. Während ich schon die Beerdigung plante, den Tatort reinigte und mit den Katzen schimpfte, hielt mein Mann den Vogel, etwa Grösse Spatz, vorsichtig in seiner Hand: „Nein warte mal, der atmet doch. Er lebt.“ Nun war das leider nicht das erste Mal, dass meine Katzen einen Vogel anschleppen, aber doch das erste Mal seitdem wir in einer Dachwohnung mitten in Tel Aviv wohnen.

Neben den Fragen, wer, wie und was dieser Vogel war, versuchte ich also vor allem zu rekonstruieren, wie die Fellnasen den gefiederten Freund in unsere Wohnung gezerrt hatten. Mein Mann kontaktierte derweil seinen Bekannten, der Hobbyornithologe ist. Das ist übrigens bis heute etwas, was mich an israelischen Freundeskreisen fasziniert: Während ich als Psychologin, Journalistin und Schriftstellerin vor allem mit Psychologen, Journalisten und Schriftstellern befreundet bin, sind Israelis um einiges vielfältiger in ihren Sozialkontakten. Mein Mann ist Wirtschaftsingenieur, nur die wenigsten seiner Freunde arbeiten jedoch ebenfalls in diesem Beruf. Seine Freunde sind Anwalt, Kinderarzt, Architekt und Telefonanlagenvertreter.

In Deutschland lernt man Freunde ja vor allem beim Studium und der Arbeit kennen – in Israel auch, aber zusätzlich gewinnt man einen ganzen Haufen Freunde fürs Leben beim Militär. Die Armee ist wie eine riesige Kontaktbörse, bei der man Menschen kennenlernt, die einen dann auf Jahre begleiten und einem ein Netzwerk verschaffen, das sich über alle möglichen Bereiche (beruflich, kulturell und gesellschaftlich) erstreckt. Und so war auch der Hobbyornithologe ein Soldat meines Mannes, der ja als Major in Reserve, immer noch dient. Der Vogelkundler erkannte übrigens auf den ersten Blick, dass es sich bei unserem Gast wohl um einen Zugvogel handelte, der einfach nur mal eine kurze Pause brauchte. Immerhin war er höchstwahrscheinlich aus Nordeuropa gekommen. Vielleicht sogar aus Deutschland.

Überraschungsgast aus Deutschland: Der Zugvogel war wohl auf dem Weg nach Afrika (Bild: KHC).

Mein Mann und ich konnten uns ein Grinsen nicht verkneifen – da hatte der kleine Vogel, vermutlich eine Gartengrasmücke, der seit Stunden unterwegs war, eine kleine Verschnaufpause machen wollen und war ausgerechnet in unsere Wohnung geflogen, in der drei Katzen lebten. Sein entsetztes Gesicht bei der Landung konnte ich mir geradezu bildhaft vorstellen. Wir sperrten die Katzen ein und brachten das Vögelchen an einen sicheren Platz auf unsere Terrasse. Dort, direkt neben der Laubhütte, die wir für Sukkot gebaut hatten, lag er noch eine ganze Weile regungslos herum bis er plötzlich aufsprang, sich schüttelte und losflog.

Und während mein Mann sich noch ärgerte, dass er nicht mehr Fotos von dem kleinen gefiederten Kerl gemacht hatte, dachte ich darüber nach, wie passend das alles war: Erinnerten wir uns an Sukkot doch auch an unsere Vorfahren, die sich aus Ägypten auf die lange und beschwerliche Reise ins Gelobte Land aufgemacht hatten und währenddessen in Laubhütten lebten. Und schwangen während des Festes regelmässig die sogenannten „vier Arten“: ein Etrog (eine Art Zitrone), ein Palmzweig, drei Myrthenzweige und zwei Weidenzweige, die stellvertretend für das gesamte jüdische Volk in seinen verschiedenen Ausprägungen standen. Oder in unserem Fall: ein Wirtschaftsingenieur, eine Schriftstellerin, ein Hobbyornithologe und eine erschöpfte Gartengrasmücke.

Unsere Sukka, in der Mitte des Tisches liegen die „vier Arten“ (Bild: KHC).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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