MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Experte warnt vor Auswirkungen demografischer Veränderungen

in Israel Zwischenzeilen/Wirtschaft & Innovation

„Wenn wir uns die Zukunft Israels anschauen, sehen wir, dass die Hälfte der Kinder eine Drittwelt-Ausbildung erhalten wird, ultra-orthodoxe Kinder, die Kernfächer wie Mathe, Naturwissenschaften, Lesen und Englisch nicht lernen, gehören zu dem am stärksten wachsenden Bevölkerungsteil. Das ist unhaltbar“, mit diesen alarmierenden Worten erläutert der Wirtschaftsprofessor Dan Ben-David einer der grössten Herausforderungen des jüdischen Staates.

In seinem Kurzdossier „Zwei Kriege und Demografie“ erklärt Ben-David u.a. die Folgen der demografischen Entwicklung für die israelische Wirtschaft und das Bildungssystem. Dabei erläutert er die Veränderungen, die Israel vom Sechs-Tage-Krieg 1967, über den Jom Kippur Krieg (1973) bis in die heutige Zeit durchgemacht hat. Dabei konzentriert er sich vor allem auf ultra-orthodoxe (charedim) Juden, die nicht nur mit Abstand die höchste Geburtenrate im Land haben (sieben Kinder bekommt eine ultraorthodoxe Frau im Schnitt – zum Vergleich dazu: die Geburtenrate bei muslimischen, traditionellen und säkularen Juden liegt im Durchschnitt bei 3,3 bzw. 2,2 Kindern), sondern ein eigenes Schulsystem.

Die Grafik zeigt, wie sich die Demografie Israels in Zukunft verändern wird (Bild: siehe Grafik).

In den Charedi-Schulen werden vor allem den Jungen nur sehr basale Kenntnisse in den wichtigen Kernfächern vermittelt – stattdessen wird auf religiöse Inhalte fokussiert: „Wenn die Charedim als Kinder nicht das lernen, was sie müssen, wer wird in Zukunft die Ärzte stellen, die für die medizinische Versorgung nötig sind? Wer werden die Ingenieure für eine moderne Wirtschaft sein?“, fragt der Professor der Tel Aviver Universität in seinem Bericht.
Ben-David führt die USA als Vergleich an: Dort müssten ultra-orthodoxe Kinder sich an einen für das ganze Land einheitlichen Lehrplan halten, das Ergebnis ist, dass 25 Prozent der Charedim eine akademische Ausbildung geniessen, während es in Israel nur 12 Prozent sind.

Die Beschäftigungsquote ultra-orthodoxer Männer im Alter zwischen 35 und 54 sank seit den 70er Jahren von 80 Prozent auf weniger als 40 Prozent in den frühen 2000er Jahren, während diese Quote bei nicht-ultraorthodoxen Männern (arabisch und jüdisch) mit 90 Prozent gleichbleibend hoch war. Trotz aller Bemühungen, ultra-orthodoxe Männer besser in die Arbeitswelt zu integrieren, ist die Beschäftigungsquote seit 2015 nicht angestiegen. Seit 2018 sinkt sie sogar. Bereits jetzt ist die Arbeitsproduktivität in der „Start-up-Nation“ eine der niedrigsten in der ganzen entwickelten Welt. Sie sinkt ebenfalls weiter und liegt bereits weit hinter den sieben wirtschaftlich stärksten Industrienationen wie Deutschland, Japan und die USA.

Das Problem in Israels Bildungssystem betrifft übrigens nicht nur die ultra-orthodoxen Kinder. Auch wenn man deren Schulen aus der Statistik herausnimmt, liegt die Leistung israelischer Schüler in Kernfächern wie Mathe, Naturwissenschaften und Lesen nur auf Platz 24 von allen 25 entwickelten Ländern. Die Zukunft der Start-up-Nation wird aber genau dort entschieden: In den Schulen und Ausbildungsstätten des Landes.

Bisherige Versuche, ultra-orthodoxe Männer besser in den israelischen Arbeitsmarkt zu integrieren sind gescheitert (Bild: Pixabay).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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