MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

„Es ist keine Seltenheit, mit einem Israeli gleich bei der ersten Begegnung in einem Streitgespräch zu landen“

in Die Schweiz in Israel/Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Nach drei Jahren im Land, verlässt der Schweizer Botschafter Urs Bucher Israel und geht nach Prag. Wir haben ihn ein letztes Mal getroffen und gemeinsam seine Zeit hier Revue passieren lassen…

Zwischenzeilen (ZZ): Herr Botschafter, was haben Sie in drei Jahren Israel gelernt?
Botschafter Urs Bucher (UB): Da hätte ich jetzt genug zu sagen für ein ganzes Buch (lacht). Zuerst einmal habe ich natürlich sehr viel über israelische Institutionen gelernt. Vor allem aber habe ich die unglaubliche Vielfalt dieses Lebens kennengelernt, ich habe Lebensgewohnheiten erlebt, die sich von denen, die ich bisher kannte, sehr unterscheiden. Ich habe gelernt, wie man ein Leben in einer Kriegssituation führt und trotz allem weiter normalen Tätigkeiten nachgeht. Und ich habe in Israel viele unglaublich spannende Freundschaften geschlossen, die mich noch lange begleiten werden.

ZZ: Was ist toll an Israelis?

UB: Man trifft hier unheimlich viele interessante Menschen, mit interessanten Geschichten. Israelis sind sehr interaktiv, sehr zugänglich. Man stellt leicht Kontakt mit ihnen her und diese Kontakte sind nicht höflich oberflächlich, sondern besitzen echte Tiefe. Es ist keine Seltenheit, mit einem Israeli gleich bei der ersten Begegnung in einem Streitgespräch zu landen.

ZZ: Das ist eine hervorragende Überleitung zu meiner nächsten Frage: Was nervt an Israelis?

UB: Nun ich will es mal so sagen, der Begriff „Chuzpe“ ist hier mittlerweile etwas zu positiv besetzt. Ein bisschen mehr Rücksichtnahme würde dem Zusammenleben im Land guttun.

ZZ: Sie haben in ihrer Zeit hier viel von Israel gesehen, wo ist ihr Lieblingsort im Land?

UB: Definitiv Tel Aviv. Alles zwischen dem Yarkon und dem Peres Center. Ich liebe dieses urbane, mediterrane Flair der Stadt. Landschaftlich gefällt mir der Norden sehr.

„Der 7. Oktober war ein tiefer Einschnitt“

ZZ: Während Ihrer Zeit hier passierte der 7. Oktober – wie hat das Massaker und der darauffolgende Krieg Ihre Zeit hier verändert? Sowohl in beruflicher Hinsicht als auch privat?

UB: Der 7. Oktober war ein tiefer Einschnitt. Er hat unsere beruflichen Prioritäten völlig verlagert. Er war aber auch das dominante Thema in allen Beziehungen hier. Egal, mit welchen Menschen du im Land zu tun hast, der Krieg ist überall präsent. Die Tatsache, dass er so lange schon andauert, ist extrem belastend. Und viele Leute sind direkt oder indirekt betroffen.

ZZ: Welche Begegnung in Israel ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

UB: Ganz ehrlich, es sind so viele, auch damit könnte ich ein Buch füllen. Für mich waren natürlich die Begegnungen mit den Geiselfamilien besonders berührend. Maoz Inon, dessen Eltern beide am 7. Oktober ermordet wurden, hat mich schwer beeindruckt, weil er sich weiterhin – trotz allem – für den Frieden mit den Palästinensern einsetzt. Auch jemand wie Jacques Korolnyk wird mir in Erinnerung bleiben – er ist eines der wichtigsten Bindeglieder zwischen Israel und der Schweiz. Seine Aufarbeitung von Holocaust-Schicksalen aus einer Schweizer Perspektive ist höchst wichtig und berührend. Menschen wie diese, die aus Überzeugung engagiert sind, finde ich sehr bewundernswert. Auch Rabbi Pinchas Goldschmidt gehört dazu, sein Buch „An die Gemeinschaft und an die Welt – Gedanken zu drängenden Fragen der Zeit“ zeigen eine orthodoxe Perspektive auf die real existierende Welt, von der ich sehr viel gelernt habe. Nicht zuletzt wird mir mein ganzes Team hier vor Ort in Erinnerung bleiben, das fast ausschliesslich aus Frauen besteht. Das Kunststück, so hoch professionell zu arbeiten und gleichzeitig so ein aktives Familienleben zu führen, ist wirklich beeindruckend.

„Du hast die Swiss Community zusammengebracht wie kein anderer“

ZZ: Auf welche Errungenschaften, in den letzten drei Jahren in Israel, sind Sie besonders stolz?

UB: Das ist nicht so einfach zu beantworten. An anderen Arbeitsorten habe ich Volksabstimmungen auf den Weg gebracht und riesige Events erfolgreich organisiert. In Israel sind die Erfolge anderer Art…

Jael Wyler, die Kulturattachée der Botschaft, die dem Gespräch beisitzt, meldet sich zu Wort: „Wenn ich etwas dazu sagen darf: Du hast die Swiss Community zusammengebracht wie kein anderer. Noch nie hat jemand so viel Zeit und Musse in die Schweizer in Israel investiert. Und unser Projekt mit den israelischen Philharmonikern in Luzern wäre mit einem anderen Botschafter auch nicht möglich gewesen. Du warst immer absolut offen für alle Ideen.“

UB: Danke für deine Worte. Ein ehemaliger israelischer Kollege in Brüssel gab mir vor meinem Aufenthalt hier einen wichtigen Rat: „Israel ist ein kompliziertes Land im Krieg“, sagte er mir, „das wirst du nicht ändern. Fokussiere dich auf die Menschen und darauf, ihr Leben positiv zu beeinflussen.“ Das habe ich mit einer Vielzahl an konkreten Projekten versucht.

Schweizer Botschafter Urs Bucher in Tel Aviv (Bild: KHC).

ZZ: Alle mit denen ich über Sie gesprochen habe (meine Meinung eingeschlossen), haben Sie als sehr nahbar, direkt, easygoing – fast untypisch für einen Diplomaten wahrgenommen (Ihr liebster Dresscode war „very casual“ und ich kenne keinen Diplomaten der so viel offen und herzlich lacht): Was soll Diplomatie 2024 aus Ihrer Sicht schaffen? Wie sollte sie aussehen?

UB: Ich bin immer sehr bestrebt, ich selbst zu sein. Für mich ist Authentizität das höchste Gebot. Ich lege sehr viel Wert auf menschliche Beziehungen. Der Wert eines einzelnen Menschen und mein Respekt für sie oder ihn hat nichts mit seinem sozialen Status zu tun – so wurde ich erzogen.

ZZ: Was werden Sie an Israel vermissen?

UB: Die Menschen.

ZZ: Und worauf freuen Sie sich in Ihrem neuen Zuhause, Prag?

UB: Neue Menschen kennenzulernen.

ZZ: Herr Botschafter, wir danken Ihnen sehr für das Gespräch.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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