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Nova-Überlebende: Der Versuch, das Erlebte zu verarbeiten

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Mehr als 3.000 Menschen besuchten das Supernova-Musikfestival, das am Freitagabend, dem 6. Oktober, begann und bis zum Nachmittag des 7. Oktober dauern sollte. Das Festival wurde der Schauplatz des schlimmsten Massakers innerhalb der vielen Massaker vom 7. Oktober. 364 Menschen wurden dabei ermordet, eine bisher unbekannte Zahl weiterer Menschen wurde verletzt. Mehrere Frauen wurden vergewaltigt und entweder getötet oder als Geiseln nach Gaza verschleppt und später mit blutenden Wunden in Videos vorgeführt. Insgesamt sollen 40 Menschen vom Festivalgelände in den Gazastreifen verschleppt worden sein.

Für diejenigen, die das Trance-Festival überlebt haben, sind die Erinnerungen an das Erlebte furchtbar. Viele verschiedene private Initiativen, die auf Freiwilligenbasis funktionieren, versuchen den Überlebenden zu helfen. Auf mehreren Geländen im Land gibt es Reha-Angebote für Nova-Überlebende, die viele verschiedene Therapie-Ansätze beinhalten.
„In dem Stadium, in dem wir uns befinden, geht es nicht um Behandlung, nicht im klassischen Sinne. Es geht eher um Hilfe, Unterstützung und Integration. Wir sehen hier Dinge, von denen wir noch nie etwas gehört haben, nicht in der Literatur und nicht in Verbindung mit einem so intensiven Trauma durch Grausamkeit und Böses, und das, während viele der Menschen unter dem Einfluss von psychedelischen Drogen standen“, erklärt Omri Frish, der das Kfar Izun, ein auf Krisensituationen, Traumata und Drogen spezialisiertes Behandlungs- und Rehabilitationsdorf für junge Menschen, gegründet hat und leitet. „Ich habe in meiner jahrzehntelangen Arbeit noch nie von so etwas gehört, und es gibt viele Dinge, die wir hier neu lernen. (…) Selbst wenn dieser Ort hier geschlossen wird, werden die meisten Menschen eine Therapie benötigen; sie werden noch viele Jahre mit dem Trauma leben, und einige werden eine tiefergehende Behandlung benötigen.“

Die Angst ist, dass sich viele der Überlebenden, die vielleicht eher drogenaffin sind, jetzt auch mit diesen Drogen weiter beruhigen, anstatt das Trauma aufzuarbeiten. Dr. Hagit Boni-Noach von der Abteilung für Kriminologie der Universität Ariel, die Partys und Drogenkonsum in Israel erforscht, erklärt: „Die Trance-Kultur ist mit der weltweiten psychedelischen Bewegung verwoben. Wir bieten Therapeuten eine spezielle Schulung an, um sie mit dem Thema vertraut zu machen.“ Sie sagt auch, dass die Überlebenden der Nova-Partys über unterschiedliche Auswirkungen der eingenommenen Drogen während des Massakers sprechen. „Einige sagten, sie hätten aufputschende Drogen genommen und seien deshalb Dutzende von Kilometern gelaufen, weil sie dadurch Kraft bekamen.“

Auch auf andere Wege versuchen die Nova-Überlebenden das Erlebte zu verarbeiten: Im Konferenzzentrum der Expo Tel Aviv wurde eine Ausstellung zu den Ereignissen des 7. Oktober eröffnet, die von dem Unterhaltungsproduzenten Yoni Feingold, einem der Gründer der Zappa-Musikclubkette, ins Leben gerufen wurde. Dort gibt es u.a. eine Ecke mit Kunstwerken, die von Supernova-Überlebenden geschaffen wurden, eines der viel wiederholten Mottos lautet: „Wir werden wieder tanzen“. Eine der bekanntesten Nova-Überlebenden Mia Schem, die von der Hamas wochenlang als Geisel gehalten wurde, hat sich den Satz auf ihren Arm tätowieren lassen.

Am Ende der Ausstellung in Tel Aviv befindet sich der vielleicht erschütterndste und schmerzhafteste Bereich. In „Lost and Found“, werden unzählige Schuhe und Sonnenbrillen, Hüte und Deodorants, Haarspangen und Hausschlüssel, gezeigt, die von Besuchern des Festivals zurückgelassen wurden – viele der Besitzer sind nicht mehr am Leben.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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