MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kommentar: Die Proteste von 2011 haben nichts gebracht

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Wie die Jerusalem Post berichtet, hätten die Proteste gegen die hohen Lebenserhaltungskosten, die 2011 überall in Israel tobten, wenigstens etwas gebracht: So sei der Index für Nahrungsmittelpreise in Israel in den letzten zehn Jahren lediglich um 1,8 Prozent angestiegen, der OECD-Durchschnitt hingegen lag bei 16 Prozent. Man könnte nun natürlich argumentieren, dass die Preise für Nahrungsmittel in Israel auch vor zehn Jahren schon so überdurchschnittlich hoch waren, dass nur noch wenig Spielraum für noch höhere Preise existierte. Tatsächlich waren die Lebensmittelpreise nämlich genau so hoch, dass 2011 in Tel Aviv mehrere Wochen lang Millionen von Israelis auf die Strasse gingen. Aber selbst wenn man das mal so annimmt und von mir aus auch wertschätzt, dass der Druck auf Supermärkte und Nahrungsmittelproduzenten in Israel gross genug ist, um nicht noch mehr die Preise zu erhöhen: Es bleiben exorbitante Lebenshaltungskosten in vielen anderen Bereichen. In Tel Aviv zum Beispiel kostet eine kleine Dreizimmerwohnung, die nicht mal renoviert sein muss, mittlerweile locker 7.500 Schekel – das sind fast 2000 Euro (2187 CHF). Als die Proteste 2011 auf dem Rothschild Boulevard losgingen, hätte man für die gleiche Wohnung etwa 5.500 Schekel (ca. 1421 Euro, 1550 CHF) bezahlt. Und damit hat man dann noch nicht mal Strom, Wasser und Internet inklusive. Und wer dachte, dass die Corona-Pandemie und damit verbundene Krise im Tourismus endlich mehr Wohnungen auf den Markt spült, weil ja unendlich viele Airbnb- und Ferienwohnungen sowie auch Eigentumswohnungen von nicht-israelischen Juden leer stehen, hat sich komplett geirrt.

Und apropos Tourismus, die Preise für Hotels und Ferienhäuser sind in diesem Sommer so hoch wie nie. Wie die Zeitung Yediot Ahronot berichtet, liegen die Kosten für Hotels in den beliebten Sommerdomizilen Eilat und dem Toten Meer bei 20 bis 30 Prozent mehr als im letzten Sommer vor der Pandemie (2019). Die israelischen Hotelbesitzer wissen einfach, dass vor allem Familien mit noch ungeimpften Kindern kaum eine Wahl haben, denn die Kinder müssen bei Aufenthalten im Ausland in eine mindestens zehntägige Quarantäne, wenn sie zurückkehren – das tut niemand seinen Sprösslingen, und sich selbst, an. Dazu kommt, dass Premierminister Naftali Bennett seit Wiederanstieg der Corona-Infektionen alle israelischen Bürger vor Reisen ins Ausland gewarnt hat. Dass sich daran kaum jemand zu halten scheint, konnte ich in der vergangenen Woche mit eigenen Augen beobachten, als am Ben Gurion Flughafen Schlangen standen, die ich so sehr lange schon nicht mehr gesehen habe.

Ich flog übrigens nach Griechenland – auch ein Land, dessen Tourismus von der Pandemie schwer getroffen wurde. Dort habe ich für eine grosse Ferienwohnung mit vier Betten, direkt an einem wunderschönen kleinen Strand, 250 Euro (273 CHF) für drei Nächte bezahlt. Dafür bekommt man in Eilat gerade mal eine Nacht im Doppelzimmer. Wird es also Zeit für neue Sozialproteste? Gegen Urlaube, die sich kinderreiche Familien im Land nur noch leisten können, wenn beide Eltern im High-Tech-Bereich arbeiten? Gegen viel zu teure Wohnungen? Gegen Gehälter, von denen am Ende des Monats nur eine rote Minuszahl bleibt? Vielleicht. Ich fürchte aber, diejenigen, die das am meisten betrifft, sind immer noch erschöpft vom Jahr der Pandemie. Ein Jahr, in dem auch in Israel viele Menschen ihre Arbeit verloren oder Kinderbetreuung, Vollzeitjob und Haushalt plötzlich gleichzeitig stemmen mussten.

In der Zwischenzeit sind in den ersten Schulen und Kindergärten schon wieder ganze Klassenstufen in Quarantäne, weil sich die Delta-Variante weiterhin mit hohem Tempo verbreitet – Zeit für Proteste bleibt da kaum. Nötig wären sie aber schon, denn all die Forderungen, die 2011 gestellt wurden, sind mit der Zeit verpufft. Dass immerhin die Lebensmittel kaum teurer geworden sind, ist nur ein schwacher Trost – es zeigt aber exemplarisch, dass mit viel Druck und Gegenwehr doch etwas erreicht werden kann. Denn viele Israelis kaufen den Cottage-Käse eben nicht mehr, wenn er zu teuer ist. Bei einer Wohnung kann man sich diese Konsequenz nicht leisten.

Lange Schlangen am Flughafen Ben Gurion: Liegt es daran, dass Urlaube innerhalb von Israel so teuer sind? (Bild: KHC).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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