MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Häusliche Gewalt: „Das hat das Problem natürlich immens verstärkt“

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Vor allem Familien, in denen häusliche Gewalt zum Alltag gehört, leiden unter der Pandemie und den vielen Lockdowns. Die Opfer-Zahlen sind explodiert und für viele Frauen haben die wenigen Einrichtungen, die ihnen noch Hilfe anboten, wegen Corona die Türen geschlossen. Die Israel-Zwischenzeilen haben eine Not-Unterkunft besucht und mit Mitarbeitern über die schwierige Situation gesprochen…

Von Katharina Höftmann Ciobotaru

Mitten in einer schicken Villengegend in einer Stadt im Zentrum Israels hat sich das eigens für die Coronazeit aufgebaute Frauenhaus versteckt: Hinter einem hohen bewachten Tor finden hier 12 Frauen und ihre Kinder temporär Zuflucht. 14 Tage dürfen sie bleiben, dann müssen sie weitervermittelt werden. Ihre Geschichten sind alle unterschiedlich, von jüdisch-religiös bis arabisch und Familien mit äthiopischen Wurzeln sind hier alle Bestandteile der israelischen Gesellschaft vertreten: Eines haben die meisten Frauen aber gemeinsam. Fast alle haben Kinder und fast alle sind nicht zum ersten Mal in einem Frauenhaus. Für viele von ihnen hat sich ihre Situation allerdings während der Pandemie drastisch verschlimmert.

Die Zahlen belegen das: Beschwerden über häusliche Gewalt sind seit Beginn der Corona-Krise in Israel um 300 Prozent angestiegen. Seit Beginn des Jahres 2020 sind mehr als 20 Frauen von ihren Partnern umgebracht worden. Das zeigt eine bedrückende Studie der Organisation WIZO: „Die monströse Häufigkeit von Fällen häuslicher Gewalt während der Corona-Krise sollte für unsere ganze Gesellschaft ein Weckruf sein, besonders aber für die Regierung“, erklärte WIZO-Vorsitzende Anita Friedman, „Die Daten zeigen ein Mangel an Ressourcen und Strategien um mit dem enormen Schaden umzugehen, der durch Quarantäne und die Schliessung vieler Einrichtungen zehntausende Frauen betrifft, die zwischen einer Corona-Pandemie und einer Pandemie häuslicher Gewalt gefangen sind.“

Eine Notaufnahme musste her

Ein riesiges Problem während der Pandemie stellte die Tatsache dar, dass die im Land existierenden 14 Frauenhäuser keine neuen Frauen aufnehmen wollten, aus Angst davor, dass diese mit Corona infiziert sein könnten. Es musste dringend eine Art „Notaufnahme“ her. Rivka Naumann, die WIZO-Direktorin der Abteilung für die Förderung von Frauen, schaffte es innerhalb weniger Wochen, eine solche Notunterkunft zu planen und einzurichten. In diesem Übergangs-Frauenhaus finden nun zwölf Betroffene und ihre Kinder zwei Wochen lang Schutz, und weil sie in diesen zwei Wochen das Haus nicht verlassen dürfen, und sozusagen wie in Quarantäne leben, können sie danach in ein richtiges Frauenhaus umziehen.

Noch mehr Not wegen der Pandemie: Die häusliche Gewalt ist stark angestiegen (Bild: Pixabay).

Für Michal Orion, die das Not-Frauenhaus leitet, sind die Gründe für den Anstieg der Gewalt während der Pandemie klar: „„Natürlich, die Frauen sind meist schon lange mit diesen gewalttätigen Männern zusammen. Aber sagen wir mal so: Normalerweise sahen Frauen ihre Männer morgens und dann irgendwann nach der Arbeit wieder. Die Männer waren abends müde, die Frauen hatten tagsüber Zeit ‚Luft zu holen‘. Und dann kam der Lockdown, niemand ging mehr aus dem Haus. Und plötzlich hockten diese Familien aufeinander, oftmals mit finanziellem Druck, da so viele Menschen ihre Jobs verloren hatten. Das hat das Problem der häuslichen Gewalt natürlich immens verstärkt.“

Es fehlt an allen Ecken und Enden

Die Notunterkunft ist dabei nur der Tropfen auf einen heissen Stein, eigentlich bräuchten deutlich mehr Frauen eine Notunterkunft als es Plätze gibt. Und auch die Weitervermittlung gestaltet sich oft schwierig: So lebt eine arabische Frau mit ihren beiden Kindern nun schon fast über einen Monat lang in der Notaufnahme. Sie müsste an ein Frauenhaus weitervermittelt werden, in dem es arabischsprachige Sozialarbeiter und Psychologen gibt und das ist nicht so einfach zu finden. „Es gibt zwei Frauenhäuser im Land, die ausschliesslich für arabische Familien sind und zwei für ultraorthodoxe“, erklärt Michal Orion, „Und natürlich könnte die Frau in einem anderen Heim auch aufgenommen werden, aber die Kinder sind klein und sprechen noch kein gutes Hebräisch. Sie brauchen aber dringend eine intensive Betreuung in ihrer Muttersprache.“

Etwa 200.000 israelische Familien leiden laut Schätzungen von WIZO unter häuslicher Gewalt. 2018 wurden 26 Frauen von ihren Partnern oder anderen männlichen Familienangehörigen getötet, 2019 waren es 19 Frauen. Gemeinsam mit anderen NGOs kämpft WIZO dafür, dass das Thema niemals von der Agenda verschwindet. In einem Land, in dem Terror und Krieg immer die bedrohlichsten Probleme bleiben werden, muss manchmal mit Nachdruck daran erinnert werden, die alltägliche Gewalt zu bekämpfen. Denn es fehlt trotz grosszügiger Spenden und staatlichen Hilfen an allen Ecken und Enden. Die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen haben diese Situation nur noch weiter verschlimmert.

Die Recherche für diesen Artikel entstand für das Buch „Rebels with a Cause – 100 Jahre WIZO“, Veröffentlichung Frühjahr 2021.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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