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Premiere in Jerusalem: Das Leben der Grossmütter

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Neun Grossmütter sitzen auf der Bühne in Jerusalem, schnippeln Salat, rühren Tahini an und plaudern dabei. Erzählen Geschichten aus ihrer Kindheit, aus ihrem Leben. Von Kriegen und Geburten, von Ehemännern, die man erst bei der Hochzeit traf. Dazwischen massieren sie einander, tanzen und singen. Sind mal ausgelassen, mal nachdenklich, mal fröhlich, mal traurig. Sie sprechen über Freundschaften, darüber, dass ein Treffen mit Freundinnen einen schöner macht, als ein Termin bei der Kosmetikerin. Sie schreien wütend gegen Gewalt an, Gewalt, die ihr aller Heimatland allzu oft als Geisel nimmt. Und sie erinnern sich an den Sechs-Tage-Krieg, der ihre Heimatstadt Jerusalem komplett veränderte. Irgendwann probieren sie den Kuchen, den eine von ihnen gebacken hat und plötzlich gibt es einen grossen Aufschrei: „Der Kuchen ist mit Whisky? Das ist haram! Wisst ihr denn nicht, dass Alkohol bei uns verboten ist?“ „Wisst ihr denn, was wir an Pessach genau essen dürfen und was nicht?“, rufen die anderen zurück und in einer kurzen Szene hat das Theaterstück „Sipurei Safta“ (zu deutsch „Omas Geschichten“) einen der grossen Konflikte zwischen arabischen und jüdischen Israelis aufgebrochen: Man weiss einfach zu wenig voneinander.

„Gerade Frauen haben die Stärke, Veränderungen herbeizuführen“

Für Adina Tal, Regisseurin und kreativem Kopf hinter der Idee, muslimische und jüdische Frauen auf eine Bühne zu stellen und aus ihrem Leben erzählen zu lassen, war genau das der spannende Aspekt: „Ich wollte unbedingt etwas von Bedeutung machen und Frauen eine Bühne geben, weil ich glaube, dass gerade Frauen die Stärke haben, Veränderungen herbeizuführen und Hoffnung zu bringen. Und dass gerade die Älteren sehr viel Spannendes zu erzählen haben. Damit hatte ich auch Recht, aber ich habe nicht geahnt, wie schwierig es wirklich sein würde, dieses Stück auf die Beine zu stellen.“ Dabei hat Tal viel Erfahrung in dem Metier: Sie hat jahrelang als Regisseurin und Schauspielerin gearbeitet und in Israel mit „Nalagaat“ das erste professionelle Theater für blinde und gehörlose Schauspieler weltweit gegründet. Ihr Stück „Nicht vom Brot allein“, in dem blinde und gehörlose Schauspieler Einblicke in ihren Alltag geben, ist nicht nur preisgekrönt, es wurde auch überall auf der Welt gespielt.

Eine freundschaftliche Massage und viel Klatsch und Tratsch: Die „Sipurei Safta“ im Khan Theater in Jerusalem (Bild: KHC).

Aber Koexistenz-Projekte sind nicht immer einfach zu bewerkstelligen in Israel. Der Umgang mit den vielen Empfindlichkeiten gleicht oft einem Eiertanz. Schon erst recht in Jerusalem, denn die in Ostjerusalem lebenden Araber fühlen sich meist mehr als Palästinenser, denn als Israelis: „Es gibt Koexistenz-Projekte, ja, das stimmt. Man lernt zusammen, kocht zusammen – aber man geht eben nicht gemeinsam an die Öffentlichkeit. Wir wollten aber, dass unsere Schauspielerinnen auf die Bühne gehen. Und das wurde oft torpediert.“ Neben der fehlenden Bereitschaft von vielen Palästinensern, in der Öffentlichkeit mit jüdischen Israelis zusammenzuarbeiten, kamen auch Einwände aus Gründen der Traditionen dazu: Dass eine arabische Oma auf einer Bühne stehen soll, ging vielen Ehemännern und Söhnen gewaltig gegen den Strich. Und so ist es bezeichnend, dass fast alle der neun Frauen, die Adina Tal am Ende für ihr Projekt gewinnen konnte, verwitwet oder geschieden sind. Doch auch kulturelle Unterschiede bei der Einhaltung von Probenzeiten, altersbedingte Konzentrationsschwierigkeiten und Sprachbarrieren haben die Arbeit nicht gerade erleichtert. Obwohl die arabischen Frauen, die meisten von ihnen hat Adina Tal am Ende mithilfe ihres arabischen Zahnarztes ausserhalb von Jerusalem in dem Dorf Abu Gosh gefunden, natürlich alle eigentlich hebräisch sprechen.

Die „Sipurei Safta“- Premiere in Jerusalem (Bild: KHC).

Auf der Bühne erzählen und singen die Frauen in ihren jeweiligen Muttersprachen. Untertitel, an die alte Steinwand des wunderschönen Khan Theaters geworfen, sorgen dafür, dass das Publikum alles versteht. Aber vieles funktioniert auch, ohne dass man alles versteht. Vor allem die Musik: Wenn die Frauen singen, begleitet von einem jungen Mann, der orientalische Instrumente wie Oud und Kanun spielt, bleibt kein Auge trocken. Adina Tal, die das Projekt mithilfe der jungen arabischen Regisseurin Fulla Jubel und ihrer eigenen Jugendfreundin aus der Schweiz, Michal Elbaz, betreut hat, weiss um die emotionale Wirkung ihres Stücks und ihrer besonderen Schauspielerinnen. Sie weiss um die Authentizität und das Potential – dass einige der Darstellerinnen, die immerhin zwischen 61 und 84 Jahren alt sind, schon mal den Text vergessen oder kurz durcheinander geraten, macht das Ganze nur umso echter und rührender. Nachdem auch in Israel alle Theater wegen des Ausbruchs des Corona-Virus geschlossen wurden und überall auf der Welt Kulturprojekte erst einmal auf Eis gelegt worden sind, weiss sie aber im Moment nicht, wie es mit „Omas Geschichten“ weitergehen soll. Mitfinanziert durch die Soroptimist International Europe und in Kooperation mit dem Verein Kulna fühlte sich Adina Tal mit dem Projekt eigentlich gut aufgestellt. Sie und ihr Ensemble freuten sich nach anderthalb Jahren Proben nicht nur auf zahlreiche Vorstellungen in Jerusalem und Israel, sondern möglichst auch in Europa und den USA.

Neun jüdische und arabische Frauen stehen im Mittelpunkt des neuen Stücks von Adina Tal (Bild: KHC).

Aber auch wenn sie im Moment nicht genau weiss, wie es weitergeht, allein für die Freundschaften, die sich zwischen den muslimischen und jüdischen Darstellerinnen gebildet haben, hat sich die Arbeit für Adina Tal gelohnt. Dass sich hinter der Bühne Menschen nahe gekommen sind, die sich ohne das Projekt wahrscheinlich niemals getroffen hätten, spürt man auch auf der Bühne. Die Frauen herzen und widersprechen einander, wie es nur echte Freundinnen können. Und dann gibt es noch diesen einen besonders berührenden Moment im Stück, als eine der Schauspielerinnen mitten auf der Bühne steht und sagt: „Ich habe einen Traum, dass wir Flügel haben und die ganze Welt sehen, ohne Grenzen.“ Man wünscht den Grossmüttern von Jerusalem nichts mehr, als dass ihre Träume nach der Corona-Krise wieder volle Fahrt aufnehmen.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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