Der Kibbuz, einst Inbegriff der neuen israelischen Identität, mit seiner hohen Anziehungskraft für Freiwillige und seiner Fähigkeit, Neuankömmlinge ins Land zu integrieren – hat sich politisch, wirtschaftlich aber auch ideologisch wesentlich verändert in den letzten Jahrzehnten. Es gibt keine Kinderhäuser mehr, kaum noch gemeinsames Eigentum und Israel ist jetzt eine Start-up-Nation und weniger Land der hemdsärmligen Kibbuznikim. Doch dass sich genau diese beiden Welten eigentlich hervorragend verbinden lassen, zeigen neue Projektideen für die Kollektivsiedlungen. So bringt beispielsweise das Programm „Gather“ die sogenannten digitalen Normaden, also Menschen, die von überall nur mit einem Laptop arbeiten können, im Kibbuz zusammen. „Mir ist aufgefallen, dass der Kibbuz alles hat, was Leute, die ortsungebunden arbeiten, brauchen, denn es sind Gemeinden in denen Menschen zusammen leben, arbeiten und spielen. Alles befindet sich auf dem Gelände, wie die Kantine, Supermarkt und Wäscherei“, erklärt Omer Har-shai, Mitgründer des Programms, „Und dazu kommt noch die Landschaft drumherum und die Landwirtschaft.“
Das „Gather“-Programm startet mit einer ersten Gruppe von 25 Teilnehmer – ausgewählt aus mehreren hundert Bewerbern aus Nord-Amerika, Europa und Australien, die einen Monat lang im Kibbuz Kfar Blum im Jordantal wohnen und arbeiten werden. Die zweite Gruppe wird 2020 im Kibbuz Tuval in Obergaliläa leben. Omer Har-shai beschreibt, warum Kibbuz und die modernste Form des Arbeitens seiner Meinung nach hervorragend zusammenpassen: „Je freier und flexibler unser Leben dank Technologien wird, desto mehr suchen wir nach Zugehörigkeit, Bedeutung und menschlicher Nähe“, erklärt Har-shai die Hintergrundgedanken zu seinem Projekt, „Es ist kein Zufall, dass WeWork, das Unternehmen das den Co-Working-Trend gestartet hat, von einem ehemaligen Kibbuzmitglied gegründet würde. Die Ideologie hinter dem Kibbuz, die vor ein paar Jahrzehnten naiv und irrelevant schien, ist jetzt für urbane Millienials attraktiv, die nach alternativen Arten zu leben suchen.“
Doch Har-shai ist nicht der einzige, der erkannt hat, dass die Kultur des freien Arbeitens und bewussten Lebens der Generation Y zu einem Leben im Kibbuz passt – auch der Tourismus für eben genau diese Urlauber bietet immer öfter Ausflüge oder längere Aufenthalte im Kibbuz an: Das Tel Aviver „Abrahams Hostel“, bekannt für sein Hipster-Klientel, bietet nun Touren in den Küstenkibbuz Ma’agan Michael an, bei dem Gäste mehr über diese Art zu leben erfahren können. In diesem Jahr soll auch noch das „Urban Kibbutz New Israel Program“ für Reisende im Alter zwischen 20 und 30 gegründet werden, dass den Kollektivgedanken nutzt, um sich auf soziale Gerechtigkeit und politisches Engagement zu konzentrieren, Teilnehmer sollen sich in Freiwilligenarbeit in Schulen oder mit Partnerorganisationen gemeinsam mit Israelis engagieren, hebräisch lernen, Israel kennenlernen – und das wiederum ist ja wieder ganz nah an der Ursprungsidee des Kibbuz dran.