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Feiertage in Jerusalem: Bericht einer Neueinwanderin

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Von Rebecca Steiner

Wenn man im Dezember durch die Strassen von New York geht, gibt es eindeutige Anzeichen dafür, dass die Weihnachtszeit begonnen hat. Der Duft von gerösteten Kastanien liegt in der Luft, man sieht Weihnachtsbäume und hört alle möglichen Versionen von „Jingle Bells“ aus dem Radio. In Israel, wo die Feiertagszeit im September beginnt und im Oktober endet, sind die Geräusche, Geschmäcker und Gerüche ganz anders. Als gebürtige New Yorkerin, die in Jerusalem lebt, habe ich ein neues Verständnis für den Ausdruck „über die Feiertage nach Hause kommen“.

Die jüdische Feiertagssaison, auch „Tage der Ehrfurcht“ genannt, beginnt im jüdischen Monat Elul, einen Monat vor dem jüdischen Neujahrsfest Rosch Haschana, gefolgt vom Busstag Jom Kippur und endet mit dem achttägigen Erntedankfest Sukkot, erstreckt sich insgesamt also über etwa zwei Monate. Rosch Haschana und Jom Kippur werden von vielen Juden im Lande begangen, unabhängig davon wie religiös sie ansonsten sind.

Ein besonderer Klang liegt in der Luft

Aber während dieser Zeit liegt ein besonderer Klang in der Luft, der bezaubernde Klang der Slichot, des Vergebungsgebets, das jede Nacht für etwa eineinhalb Monate um 0:30 Uhr beginnt und gegen 2 Uhr endet. Dieses Gebet wird überall in den Synagogen gesprochen, nicht nur in Jerusalem und nicht nur in Israel – es ist eine tausendjährige Tradition.

Die direkte Übersetzung von Slichot bedeutet Vergebung. Die Gebete sind eine Kombination verschiedener hebräischer Psalmen, die in der Regel mit einer Melodie gesungen werden, einige mit einem Ruf- und Antwortformat, bei dem der Gebetsleiter eine Zeile sagt und die Gemeinde antwortet. Das Ziel dieser Gebete ist es, einen Neuanfang für das neue Jahr zu erhalten.

Der überfüllte Zugang zur Klagemauer während der Festtage (Bild: RS).

Ich habe in Jerusalem an einigen Slichot-Gebeten teilgenommen und sie sind wunderschön. Neben dem kraftvollen Klang von Hunderten von Stimmen im Gleichklang fällt mir vor allem die Vielfalt der Teilnehmer auf. Ob säkular oder religiös, ob Israeli oder Spanier, der Brauch des Slichot-Gebetes vermittelt ein Gefühl der Einheit, das ich in Amerika nicht erlebt hatte. An einem Abend besuchte ich das Slichot-Gebet an der Klagemauer, und es waren über 100.000 Menschen anwesend. Die Gebete enden mit dem Blasen des Schofars, eines Widderhorns, das manche versuchen, jeden Tag vor Rosch Haschana zu hören, um sich zu ermutigen, zu sich selbst zurückzufinden, ein jüdisches Konzept namens Tschuwa.

Neben den Klängen des Slichot-Gebetes und des Schofars gibt es natürlich auch den Geschmack der Feiertage, den Geschmack von Honig und Granatäpfeln. Der Granatapfel steht wegen seiner vielen Kerne für Überfluss sowie Fruchtbarkeit und der Honig für Süsse, für ein süsses neues Jahr. Man findet Bilder von Granatäpfeln und Honig an Häuserwänden, Bussen und Karten, und Bäckereien mit Honigkuchen, die die Festtagszutaten nutzen.

„Das neue Jahr richtig beginnen“

Die Atmosphäre der Feiertage ist überall zu spüren, mit Sonderverkäufen, Rabatten in Fitnessstudios, „um das neue Jahr richtig zu beginnen“, und vielem mehr. Die Kinder haben schulfrei, im ganzen Land gibt es kostenlose Konzerte, und viele nehmen sich neue Projekte vor – das Gefühl des Feierns und des Neuanfangs ist überall spürbar.

Wenn der Winter vor der Tür steht, gibt es definitiv Tage, an denen ich mich nach Weihnachtsliedern und Kürbisgewürzkaffee sehne, aber hier in Jerusalem habe ich ein neues Gefühl für die Feiertagszeit gewonnen, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Einheitsgefühl, die Süsse und die festliche Stimmung geben mir das Gefühl, zu Hause zu sein, in meinem neuen Zuhause, in Jerusalem in Israel.

Ich wünsche Ihnen allen ein frohes neues Jahr!

Zu Rosh HaShana isst man traditionell viel Granatapfel (Bild: KHC).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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