Während meiner ersten Monate in Tel Aviv, sass ich zur späten Abendstund in einer Bar, nippend an einem Glas Wein. Eine Gruppe junger Menschen (vorwiegend Herren) bestellte sich nebenan eine XXL-Platte Gemüse-Sticks und sonstige Kleinigkeiten. Sie drehten sich zu uns um, um meiner Freundin und mir etwas anzubieten. Ich bedankte mich und wies mit dem Satz «Ich habe soeben gegessen» das Angebot ab. Was darauf folgte, war eine fassungslose Stille. Es wurde so still, dass ich mein Blut zirkulieren hörte.
Kaum ein anderes Volk, das ich kenne, ist so sehr auf Essen fixiert, wie die Israelis. Während meine Mittagsteller in Zürich gern mit «Da hat aber eine Hunger» kommentiert wurden, möchte man mich in Tel Aviv zusätzlich zur selben Portion noch mit einer Vorspeise mästen. Und «eine Vorspeise» ist in Israel keine Ansammlung von vier einsamen Salatblättern, klebend an einer Tomatenscheibe. Es ist dann eine kleine Portion Gnocchi oder eine ganze Stange Hausbrot in der Grösse meines Unterarms, mit Olivenöl, Olivenpaste und Oliven. Wenn ich dann antworte: «Danke, aber die grosse Portion Linsen mit Gemüse, Süsskartoffelchips, Tahini und eine Cola reichen mir für ein Mittagessen völlig aus», versteift der Kellner in Schockstarre.
Essen in Israel abzulehnen wird so empfunden, als würde jemand sagen, dass er Babykatzen nicht mag. Und so kommt es, dass mir willkürlich und ständig ein „Nischnusch“ – ein Snack – angeboten wird: Ich bestelle einen Kaffee um vier Uhr nachmittags. Dazu würde man mir in Zürich nicht mehr als ein Stück Kuchen anbieten. In Tel Aviv jedoch, gibt es zum Kaffee eine ganze Liste von Speisen, die von Gastronomen als sinnvolle Begleitnascherei empfunden werden: «Wie wäre es mit unserem Hausbrot (wieder mit Olivenöl, Olivenpaste und Oliven) oder vegane Linsenbällchen auf Reis?» – «Nein danke. Ich möchte nur einen Kaffee.» – «Wir haben aber auch grillierten Blumenkohl.» – «Nein danke. Nur Kaffee.» – «Ok. Falls du es dir mit den veganen Linsenbällchen doch anders überlegst: Die sind wirklich fein.» – «Ok. Danke.»
Dass ich mich nach vier Jahren Tel Aviv nicht von A nach B rolle, grenzt an ein Wunder. Oder vielleicht verbrenne ich, was ich zu mir nehme, während ich bereits der nächsten Leckerei hinterherrenne.