MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Tech-Welt wird politisch

in Israel Zwischenzeilen/Wirtschaft & Innovation

Israel hat sich den Namen Start-up-Nation über viele extrem erfolgreiche Start-ups und die Entwicklung einer ganzen Menge technologischer Innovationen über Jahre hart erarbeitet. Wofür die Start-up- und High-Tech-Branche im Land bisher nicht bekannt war: politisches Engagement. Doch mit der neuen Regierung und ihren geplanten Reformen ändert sich das langsam.

„Es ist das erste Mal, dass sich der Sektor in dieser Art und Weise organisiert“, räumt Michal Tsur (49), Gründerin von Kaltura und einer der Aktivistinnen, gegenüber des Mediums Calcalist ein. „Viele Leute, die sich noch nie an politischen Aktionen beteiligt haben, melden sich jetzt zu Wort. Sie alle sind besorgt, sowohl als Bürger als auch als High-Tech-Unternehmer. Man sagt über israelische Unternehmer, dass wir wissen, wie man durch Mauern geht – die Reformen der neuen Regierung sind im Moment die grösste und wichtigste Mauer.“

Vor allem die geplante Justizreform macht Unternehmern im Land Sorge. „Eine Schwächung des Justizsystems, die das Interesse ausländischer Investoren an Israel verringern und zu höheren Kreditkosten für die israelische Regierung führen könnte – als Folge einer Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Landes – könnte der israelischen Wirtschaft und ihren Bürgern einen schweren Schlag versetzen. In diesem Zusammenhang sollten wir die Erklärung eines Vertreters von S&P (die Ratingagentur Standard & Poor, Anm. d. Red.), die kürzlich in der israelischen Presse erschien, aufmerksam verfolgen: ‚Eine anhaltende Tendenz zur Schwächung wichtiger und wesentlicher Institutionen oder des Systems von Kontrollen und Gegengewichten kann das Risiko einer Herabsetzung der Kreditwürdigkeit Israels erhöhen.‘ In diesem Sinne dürfen wir Israels Kreditwürdigkeit nicht gefährden.“ Das schreiben Prof. Karnit Flug und Prof. Jacob Frenkel in einem Kommentar. Flug hat in der Vergangenheit die Zentralbank Israels geleitet und ist aktuell Vizepräsidentin des Israel Democracy Institute, Frenkel ist ebenfalls Leiter der Zentralbank gewesen, ausserdem Träger des israelischen Wirtschaftspreises und aktuell Vorsitzender des Frenkel-Zuckerman-Instituts für Weltwirtschaft an der Universität Tel Aviv.

Aber nicht nur die geplante Justizreform macht der High-Tech-Branche Sorgen. Auch die Tatsache, wie wenig Frauen der aktuellen Regierung angehören, stösst auf grosse Sorge und sorgt dafür, dass vor allem Frauen aus der Wirtschaft die Proteste anführen: „Wir haben das Gefühl, dass niemand (in der aktuellen Regierung, Anm. d. Red.) unsere Interessen vertritt. Nach all den Reformen sagen sie bei den nächsten Wahl dann vielleicht sogar, dass Frauen nicht mehr kandidieren können“, fürchtet Eynat Guez, Mitbegründerin und CEO des Fintech-Unternehmens Papaya. Für ihr Unternehmen hat Guez die ersten Konsequenzen gezogen: In einem Tweet gab das Unternehmen bekannt, sein gesamtes Geld aus Israel abzuziehen und schrieb: „Nach den Erklärungen von Premierminister Benjamin Netanjahu, dass er entschlossen ist, Reformen durchzuführen, die der Demokratie und der Wirtschaft schaden, haben wir die geschäftliche Entscheidung getroffen, das gesamte Geld des Unternehmens aus Israel abzuziehen.“
Verschiedene Risikokapitalfonds, die Geld für israelische Start-ups beschaffen, warnen ebenfalls, dass die Investoren ihre Investitionen einfrieren. Ausländische Investoren und ausländische Vorstandsmitglieder israelischer High-Tech-Unternehmen seien aufgefordert worden, sofortige Massnahmen zu ergreifen, um ihre Barguthaben zu sichern.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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