MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Drei Schweizer in Israel – drei Geschichten

in Die Schweiz in Israel/Leben, Kultur & Sport

Etwa 22.000 Schweizer Staatsbürger leben in Israel. Wir haben drei von ihnen getroffen, um über ihr Leben, das Heimweh und neue Wege in einem anderen Land zu sprechen…

Tabea und Matthias Oppliger
„Man lebt hier, als ob es kein Morgen gäbe“

Eigentlich wollten Tabea und Matthias Oppliger in Tel Aviv nur Urlaub machen. Aus dem Urlaub wurde ein ganz neues Leben.

Als die beiden Schweizer 2012 zum ersten Mal den heruntergekommenen Süden von Tel Aviv besuchten, waren sie geschockt: „Damals waren gerade viele Flüchtlinge aus Afrika angekommen. Ich sah dort ein Gesicht von Israel das man nicht kennt und sich so auch nicht vorstellen kann. Da hätte morgens eine tote Prostituierte im Container liegen können und niemanden hätte es interessiert“, erinnert sich der 49-Jährige Matthias Oppliger. Die Gegend um den zentralen Busbahnhof herum, vor allem aber seine Bewohner, liessen das Ehepaar nicht los. Der ehemalige Kriminaldetektiv und seine Frau Tabea, 45, hatten bereits in der Schweiz die Organisation GlowbalAct gegründet, deren Ziel es ist, Menschenhandel auf der ganzen Welt zu bekämpfen. Schliesslich beschlossen Tabea und Matthias Oppliger gemeinsam mit ihren drei Kindern nach Israel auszuwandern und das, obwohl sie alle nicht-jüdisch sind und damit der Erhalt von Aufenthaltsvisa und die Arbeitsgenehmigungen eine viel grössere Herausforderung darstellten.

Ende August 2014 kamen die Oppligers nach Tel Aviv, um hier ein so genanntes social Start-up zu gründen. Bei KitePride arbeiten Überlebende von Menschenhandel und Prostitution und stellen funktionale, einzigartige Taschen aus upgecycelten Kitesurfing-Drachen, Segeln, Fallschirmen und Neoprenanzügen her. Mit jeder verkauften Tasche werden kontinuierlich Arbeitsplätze geschaffen und der Stoff wird vor der Mülldeponie bewahrt.

Die Kulturunterschiede machten ihr zu schaffen

Der Umzug nach Israel war nicht immer einfach. Die Kulturunterschiede und Intensität der Menschen machten Tabea Oppliger oft zu schaffen: „Man steht eigentlich auf und kämpft gleich“, erzählt sie. Trotzdem ist die Familie von Anfang an mit dem Ziel gekommen, länger in Israel zu bleiben: „Wir haben die Kinder hier sofort komplett und voll integriert. Das war am Anfang gar nicht so leicht“, erinnert sich Tabea Oppliger, „Wir sind ja nicht jüdisch und als wir kamen, gingen die ganzen jüdischen Feiertage los. Rosh HaShana, dann Jom Kippur. Ich habe eigentlich ein gutes Sprachgefühl, spreche vier Sprachen, aber Hebräisch ist mir anfangs extrem schwer gefallen. Also habe ich alles für meine Kinder mit Google Translate übersetzt.“

Tabea und Matthias Oppliger (Bild: Privat).

Mittlerweile spricht Tabea Oppliger fliessend Hebräisch. Ihre drei Kinder, 17, 15 und 12 sind voll im israelischen Leben angekommen. Die Familie hofft, dass der Staat ihnen eine neue Aufenthaltsgenehmigung erstellt, wenn ihr Arbeitsvisum im April 2023 ausläuft. An der Schweiz vermisst Tabea Oppliger eigentlich nur die Effizienz und das gut ausgebildete Personal. Sie glaubt aber auch, dass ihre Heimat viel von Israel lernen könne. „Die Israelis haben eine extrem offene Art und gehen mit einer besonderen Wärme aufeinander zu. Man lebt hier, als ob es kein Morgen gäbe. Das finde ich toll.“

Für ihr Unternehmen KitePride wünschen sich die beiden Unternehmer, dass sie das Konzept in andere israelische Städte oder sogar Länder multiplizieren können. „Es gibt so viele Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen und diese Hilfe dringend brauchen.“

Gabriel Strenger
„Die Zukunft des Judentums liegt in Israel“

„Ich bin als orthodoxer Jude in der Schweiz aufgewachsen. Oft hatte ich das Gefühl, dass zwischen mir und meinen nicht-jüdischen Freunden eine Art Glaswand stand. Dass ich heute als Israeli in die Schweiz zurückkehre und im Dialog mit Christen tätig bin, ist wie eine Art Heilung für mich“, das erzählt der Psychologe und Referent für Judentum und Spiritualität Gabriel Strenger. Strenger, der nach seiner Matura von Basel nach Israel zog, dort an diversen Jeschiwot und Universitäten studierte und mittlerweile seit vielen Jahren in Jerusalem lebt, geniesst es, beide Kulturen in sich zu tragen.

„Israel ist meine Wahlheimat, aber mein Körper ist in der Schweiz zu Hause. Wenn ich dort aus dem Flieger steige, dann geniesse ich die Kühle und die frische Luft. Aber auch kulturell fühle ich mich sehr stark mit den Schweizer Werten verbunden. Die Schweizer Demokratie zum Beispiel, das ist etwas, worauf ich stolz bin.“ Trotzdem war für den 57-Jährigen Strenger immer klar, dass er nach Israel gehört. In dem modern-orthodoxen Haus, in dem er aufwuchs, war Zionismus selbstverständlich, so begann seine Mutter viele Sätze mit den Worten: „Wenn wir in Israel sein werden…“. Der junge Gabriel war aktiv im Jugendbund Bnei Akiva in Basel und ging mit 15 auf die berühmte Jeschiwa in Montreux, aber es war immer klar, dass er irgendwann nach Israel gehen würde.

Das tat er dann 1984 auch, um ein Studium an der Bar-Ilan-Universität aufzunehmen. „Ich liebe die Direktheit der Menschen in Israel, dass es kein gekünsteltes Lächeln gibt und man auf der Strasse schnell mit Leuten ins Gespräch kommt. Die Kehrseite ist definitiv, dass es an Höflichkeit mangelt. Und ich vermisse das deutschsprachige Fernsehen. Ich meine in Deutschland gibt es eine Sendung wie das Literarische Quartett, da sitzen Buchkenner und diskutieren über Literatur und Menschen schauen sich das an, weil sie Literatur wichtig genug finden. So etwas ist in Israel nicht denkbar“, erklärt der mehrfache Buchautor.

Gabriel Strenger (Bild: Axel Kirchhoff)

Dank seiner Arbeit ist Strenger immer noch viel in der Schweiz, zwei, drei Mal erhielt er sogar äusserst interessante Stellenangebote aus seinem Geburtsland, die er dann aber doch immer zu Gunsten seines Lebens in Israel ablehnte. Strenger, der fünf Kinder hat und geschieden ist, empfindet es als Luxus, dass er in Israel leben kann, aber viel in der Schweiz und Deutschland arbeitet. Trotzdem wird sein Lebensmittelpunkt immer in Israel sein: „Ich verstehe Zionismus als aktive Mitgestaltung an der Zukunft Israels. Wir Juden sollten nicht passiv auf eine Erlösung von oben warten, sondern unser Schicksal aktiv beeinflussen. Die Zukunft des Judentums liegt aus meiner Sicht nur in Israel.“

Gabriel Strenger ist einer der Protagonisten in dem neuen Dokumentarfilm „Wo ist Gott“, der ab Dezember gezeigt wird.

Gabrielle Neuhaus
„Ich sage bis heute, dass ich Schweizerin bin“

Die Tänzerin und Schauspielerin Gabrielle Neuhaus kam vor über 30 Jahren für die Liebe nach Israel. Ursprünglich aus Biel/Bienne stammend, hat Neuhaus in Belgien, London und Paris Tanz studiert und dort sowie in der Schweiz gearbeitet. In Israel sah sich die Künstlerin vor allem damit konfrontiert, professionell noch einmal ganz von vorne anfangen zu müssen. „Damals gab es in Israel wenig wirklich professionelles Tanztheater, dazu kam, dass ich schwanger war und das als Tänzerin auch nicht gerade einfach ist.“

30 Jahre später hat sich Neuhaus über viele verschiedene Projekte eine Existenz im Land aufgebaut. Sie schreibt und arbeitet auf Hebräisch, zeigt ihre Projekte auf vielen verschiedenen Bühnen im Land. Erst kürzlich wurde auf dem Akko Festival ihre Docu-Performance „Stand by“ gezeigt, für die sie Frauen interviewte, die so wie sie für die Liebe nach Israel gekommen sind. „Ich habe die Frauen, von denen einige auch in der arabischen Gesellschaft leben, gefragt, was sie vorher über Israel wussten. Und wie sie sich am Anfang hier gefühlt haben und wie es heute ist. Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich: einige lieben es total, andere hassen es.“

Auch Neuhaus Verhältnis zu Israel ist bis heute kompliziert. Als sie sich vor zehn Jahren von dem israelischen Vater ihrer beiden Töchter trennte, wusste sie, dass sie nicht in die Schweiz zurück will: „Ich war damals 50 und hier endlich etabliert. Ich konnte nicht noch einmal komplett von vorne anfangen.“ Sie beschliesst damals aber, dass sich an ihrem Verhältnis zu Israel etwas ändern müsse. „Ich habe mir gedacht, wenn ich hierbleibe, dann muss ich auch Verantwortung übernehmen. Dann kann ich mich nicht mehr hinter meinem Mann verstecken und sagen, ich lebe hier nur wegen ihm.“ Neuhaus beginnt arabisch zu lernen, um sich auch mit diesem Teil der israelischen Gesellschaft mehr auseinander zu setzen.

An Israel liebt sie die Tatkräftigkeit

An Israel liebt sie bis heute die Tatkräftigkeit und die Tatsache, dass man sich immer wieder neu erfinden kann. „Man ist hier spontaner, flexibler, schneller. Und Entscheidungen werden sofort umgesetzt.“ Trotzdem flirtet sie gerade wieder mit dem Gedanken, doch in die Schweiz zurückzukehren. „Ich sage bis heute, dass ich Schweizerin bin und einen israelischen Pass besitze. Als Israelin habe ich mich nie gefühlt.“

Für ihr Projekt „Stand by“ will sie nun auch in die Schweiz, um dort ebenfalls mit Frauen zu sprechen, die für ihren Partner ins Land gekommen sind. „Vielleicht bin ich nostalgisch, wenn ich an all das zurückdenke, was ich an der Schweiz liebe. Die Pünktlichkeit, die Bescheidenheit, dass man einander wirklich zuhört. Vielleicht ist die Schweiz so schon längst nicht mehr. Aber ich will zumindest mal erfühlen, ob ich da noch hinpasse.“

Gabrielle Neuhaus (Bild: Efrat Mazor).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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