MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Tel Aviv: So teuer, so einzigartig

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer: Die israelische Mittelmeermetropole Tel Aviv ist nun offiziell die teuerste Stadt weltweit. Festgestellt hatte das das Magazin The Economist, das jedes Jahr eine Liste der teuersten Städte der Welt veröffentlicht. Tel Aviv ist seit vielen Jahren Stammgast unter den teuersten Städten. Dass die Stadt im Vergleich zum Ranking von 2020 noch einmal fünf Plätze nach oben geklettert ist und die Liste nun anführt, hat in Israel für ein großes Medienecho gesorgt. Denn, zwar weiß man, dass vor allem die Kosten für Wohnen und Leben in Israel horrend sind, aber dass Tel Aviv teurer als New York, Paris, London und Zürich sein soll – das war auch für viele Israelis ein Schock. Vor allem wenn man bedenkt, dass das Jahres-Durchschnittsgehalt in Tel Aviv laut einer Untersuchung der Seite „Average Salary Survey“ bei etwa 232.799 Schekel liegt (ca. 65.250 Euro, 68.000 CHF) – realistisch gesehen aber gerade viele der jüngeren Leute noch deutlich weniger als das verdienen.

Israel wird immer teurer: Vor allem der Wohnraum

Israel wird insgesamt immer teurer: Die Preise für Wohnungen, Nahrungsmittel, Gesundheitsausgaben, Ausbildung und Kultur sowie Haushaltskosten allgemein sind allesamt in den letzten elf Jahren angestiegen. Die Kosten für Wohnraum sind in ganz Israel seit 2010 um 32,7 Prozent gestiegen, die Bevölkerung wächst kontinuierlich und der Staat weigert sich, massive Wohnprojekte wie in den 90er Jahren, als eine Million Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion kamen, auf den Weg zu bringen. Der Markt würde das schon regeln, so die verbreitete Ansicht im Land – dabei bräuchte Israel gerade solch radikale Maßnahmen, um die Lebenskosten wieder auf ein erträgliches Level zu bekommen. Und übrigens, die Kosten für Obst und Gemüse sind seit 2010 ebenfalls massiv angestiegen, nämlich um 25,9 Prozent – und das in einem Land, das massenhaft Obst und Gemüse anbaut.

Kritiker der Erhebung des Magazins The Economist monieren, dass der starke Anstieg des Schekels in die Berechnung einbezogen werden müsse. Dieser führe ja unter anderem dazu, dass Produkte, die Israelis im Ausland kaufen, billiger seien. Nun führt der starke Schekel aber auch dazu, dass Menschen, die in Europa oder den USA Geschäfte machen (was sicherlich auf einige Tel Avivis zutrifft, da es sich um die kosmopolitischste Stadt in Israel handelt), im Prinzip viel weniger verdienen als in der Vergangenheit oder weniger wettbewerbsfähig sind. Tel Avivs Bürgermeister seit 20 Jahren, Ron Huldai, sieht vor allem den israelischen Staat in der Verantwortung. In einem Interview mit der Zeitung Haaretz sprach er davon, dass Tel Aviv auf eine „Explosion“ zusteuere. „Nur wenn es dem Staat gelingt, die Preise überall im Land zu senken, können sie auch in Tel Aviv fallen. Wenn nicht, werden sich die Gräben in der Gesellschaft nur vertiefen. Das fundamentale Problem ist, dass es keine Alternative zu dem Großraum Tel Aviv gibt. (…) Und dass der Staat nicht langfristig denkt.“ Damit spricht Huldai ein Problem an, dass in der Diskussion oft vernachlässigt wird.

Tel Aviv ist einzigartig in Flair und Freiheit

Wo sollen denn die Lehrer, Verkäufer, Krankenschwestern, Polizisten der Stadt leben? Vor allem wenn man bedenkt, dass es keinen wirklich gut funktionierenden Nahverkehr aus den preiswerteren Vorstädten und angrenzenden Städten wie Bat Jam, Holon oder Rischon Lezion nach Tel Aviv gibt. Und wie spannend wird Tel Aviv noch sein, wenn die Künstler sich die Stadt nicht mehr leisten können? Wer wird in den hunderten von Restaurants, Bars und Cafés arbeiten, wenn WG-Zimmer für Studierende über 1000 Euro/CHF kosten? Es stimmt: Tel Aviv steht zu Israel wie New York zu den USA, London zu England oder Berlin zu Deutschland. Es ist einzigartig in seinem Flair, seiner Freiheit und Liberalität und es ist eine andere Welt als der Rest Israels. Diese Einzigartigkeit zu erhalten ist aber auch Aufgabe der israelischen Politik. Für seine eigenen Bürger und auch für potenzielle Touristen, die nicht mehr kommen werden, wenn ein Tel Aviv-Wochenende zehn Mal teurer als ein Trip nach Paris oder London ist.

Wenn man sich das so anschaut, muss man sich fragen, warum die Israelis, gerade die in Tel Aviv, nicht schon längst viel, viel wütender sind? Wahrscheinlich sind sie vom Kampf um eine neue Regierung und gegen den Würgegriff der weltweiten Corona-Pandemie schlichtweg erschöpft.

Der Tel Aviver Strand Anfang Dezember – das gute Wetter kann aber nicht dafür entschädigen, dass man sich bald keine Wohnung mehr in der Stadt leisten kann (Bild: KHC).

Weitere Informationen:

„Tel Aviv steuert auf eine Explosion zu“ (eng), Haaretz

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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