Jean-Daniel Ruch war fünf Jahre lang der Schweizer Botschafter in Israel. Wir haben ihn für ein letztes Interview gesprochen, in dem er seine Zeit im Land Revue passieren lässt und auch über die Zukunft Israels nachdenkt…
Das Interview führte Katharina Höftmann Ciobotaru
Israel Zwischenzeilen (ZZ): Herr Botschafter, Sie sind seit fünf Jahren in Israel, genauer gesagt in Tel Aviv, nun beenden Sie Ihren Dienst hier. Was werden Sie am meisten vermissen?
Jean-Daniel Ruch: Das Meer, unsere Botschaft liegt ja fast genau am Strand, das wird mir fehlen. Aber darüber hinaus werde ich vor allem diese Freiheit, kreativ zu denken vermissen, die in Tel Aviv herrscht. Diese Innovationskraft, die Vorstellungskraft, diese Energie, die so einzigartig ist für diese Stadt.
ZZ: Sie haben sicherlich einiges erlebt in fünf Jahren, viele Projekte auf den Weg gebracht. Auf welches sind Sie besonders stolz?
Jean-Daniel Ruch: Ich glaube, wir haben vor allem im Bereich bilateraler Kooperationen in der Wissenschaft und Innovation viel erreicht. Ich habe mit unserem Innovationsberater, David Biegeleisen, eine Schnittstelle für diese Kooperationen geschaffen – wir haben mehr als 50 verschiedene Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmenden organisieren können. Dazu konnten wir eine Art Schirmherrschaft für israelisch-palästinensische Kooperationen im Bereich Innovation übernehmen: Ich habe hier besonders die Zusammenarbeit mit „Tech2Peace“, „50:50 Startups“ und dem „Palestinian Internship Program“ geschätzt.
Die traditionellen Wege zum Frieden sind gescheitert
ZZ: Können Projekte wie dieses Frieden schaffen?
Jean-Daniel Ruch: Daran glaube ich ganz fest. Die traditionellen Wege sind bisher gescheitert, aber mit gemeinsamen Projekten, die ein eindeutiges Ziel wie Innovation oder Umweltschutz haben, können Israelis und Palästinenser zueinander finden. Unsere Botschaft als neutraler Ort, als Schirmherr, baut dabei viele Ängste und Skepsis ab. Mit unserem Projekt zur Rettung des Korallenriffs im Roten Meer bringen wir Israel auch mit anderen Anrainerstaaten zusammen: Auf dem Schweizer Segelboot „Fleur de Passion“ werden Wissenschaftler in den nächsten vier Jahren nach Wegen suchen, um das Korallenriff besser zu schützen.
ZZ: Israel hat eine sehr vielfältige Bevölkerung. Gibt es eine Begegnung, die Sie besonders geprägt hat?
Jean-Daniel Ruch: Ja, sogar drei: Da ist zuerst einmal ein ultraorthodoxer Rabbiner und Geschäftsmann, Isaac Shapira, der viele Geschäfte in der Schweiz unterhält, weswegen ich mit ihm in Kontakt gekommen bin. Er hat mir eine Tür zu der Welt der Charedim geöffnet. Dieses hochreligiöse Leben war mir völlig fremd und durch ihn, einen der inspirierendsten Führer dieser Gemeinschaft, konnte ich viel darüber lernen, wie versucht wird, das religiöse Leben in der Yeshiva mit der Arbeitsmarktfähigkeit zu vereinbaren.
Die zweite Begegnung war mit einer jungen Gründerin aus Gaza, Majd Mashharawi. Sie ist gerade einmal 27 Jahre alt und hat bereits zwei Unternehmen gegründet, eines macht aus Schutt Ziegelsteine zum Bauen, das andere produziert Solar-betriebene Batterien. Beides unfassbar wichtige Start-ups für ein besseres Leben dort. Mashharawi brauchte immer wieder Genehmigungen, Gaza zu verlassen, um ihre Start-ups voranzutreiben, ich bin froh, dass ich dabei helfen konnte.
Und die dritte Person, die ich sehr bewundere, ist Alfonso Nussbaumer. Eine ganz aussergewöhnliche Persönlichkeit. Er ist 82 und war bis vor fünf Jahren der Honorarkonsul der Schweiz in Eilat. Er kennt die Wüste besser als ein Beduine und das Meer besser als jeder Taucher. Er ist Koch, Reiseführer, Archäologe und Abenteurer. Von ihm habe ich ganz viel gelernt.
Israel ist ein super dynamisches Land
ZZ: Das Leben in Israel ist ja nicht immer einfach, was werden Sie definitiv nicht vermissen?
Jean-Daniel Ruch: Ganz ehrlich? Die Chuzpe, die ich zuweilen sehr schätzte, aber die mich in anderen Momenten auch manchmal an meine Grenzen brachte.
ZZ: In Israel ist seit einigen Wochen das erste Mal seit zwölf Jahren eine neue Regierung an der Macht. Das Land verändert sich stetig, wie sehen Sie die Entwicklung und Zukunft Israels?
Jean-Daniel Ruch: Ich glaube es gibt ein paar Parameter, die darüber entscheiden werden. Israel ist auf der einen Seite ein super dynamisches Land. Tel Aviv ist und bleibt ein echtes Powerhouse, vergleichbar mit dem Silicon Valley, mit Städten wie London oder Paris. Aber Israel ist auch extrem klein und viele Israelis orientieren sich ins Ausland, hier verliert das Land wertvolle Köpfe. Dazu kommt die Situation mit den Nachbarn, das Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten ist ein grosser Erfolg, aber der Frieden mit den direkten Nachbarn wäre viel wichtiger. Wir haben während der letzten militärischen Auseinandersetzung auch gesehen, dass Israel in den gemischten Städten viel Gewalt zwischen jüdischen und arabischen Bürgern des Landes erlebt hat. Da muss sich dringend etwas tun.
ZZ: Ihre nächste Station ist Ankara in der Türkei. Was nehmen Sie aus Israel dorthin mit?
Jean-Daniel Ruch: Projekte wie unsere Initiative „Wake up – Diplomacy Towards a Healthy Future“, bei der Wissenschaftler in einem multidisziplinären Ansatz Probleme der Zukunft diskutieren und erforschen. Diese Idee, die als Bestandteil der Schweizerischen „Wissenschaftsdiplomatie“, zusätzlich zu klassischen Strategien der Auslandsdiplomatie fungiert, wurde von Mitarbeitenden unserer Botschaft in Tel Aviv aufgesetzt und entwickelt – sie ist mit ihrer Innovationskraft sehr israelisch.