MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Mundmalerin Bracha Fischel: „Gott macht keine Fehler“

in Die Schweiz in Israel/Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Ihre Lähmung hielt Bracha Fischel nicht davon ab, eine begabte und populäre Malerin und Rednerin zu werden. Viel mehr haben ihre persönlichen Umstände sie angetrieben, ihre Technik zu verbessern, auch wenn sie in einem Rollstuhl „feststeckt“…

Von Zo Flamenbaum, aus dem Englischen von Katharina Höftmann

Bracha Fischel war immer eine aktive junge Frau. 1991 zog sie aus der Schweiz nach Israel, wo sie ihren Mann traf, drei Töchter bekam und als Krankenpflegerin arbeitet. Dann wurde ihr Leben auf den Kopf gestellt: 2006 erkrankte Fischel an rheumatoider Arthritis. Nach einer OP waren sämtliche Gliedmassen gelähmt. Am Anfang konnte sich Bracha Fischel partout nicht vorstellen, wie sie so leben sollte: „Ich konnte nicht einmal mehr meine Mädchen umarmen.“ Aber: Fischel war immer Optimistin: „Ich habe mir gesagt, dass das keine Strafe sei, kein Fehler. Es ist einfach passiert, ich kann darüber in Depressionen verfallen oder das Beste draus machen.“

Während ihrer sechsmonatigen Reha lernte Bracha, wie sie mit ihrem Mund schreiben und Gegenstände halten konnte. Als sie zurück in ihr Haus nach Tiberias kam, arbeitete sie weiter daran, mithilfe des Hobbys, das ihr immer sehr am Herzen lag: Das Malen.

Das Malen, das grösste Geschenk

Für Bracha, die Frau mit der Tetraplegie, einer Querschnittslähmung aller vier Gliedmassen, wurde das Malen zum grössten Geschenk. Sie wird nicht müde, zurückzugeben und noch mehr Schönes für die Welt zu erschaffen. 2007 nahm sie an einem Kurs an einer Kunstakademie in Hamburg teil, und 2013 erhielt sie ein Stipendium der Organisation für Mund- und Fussmaler MFPA, ein globales Netzwerk, das Künstler bei der Weiterentwicklung ihrer Talente unterstützt. Das MFPA hat auch in Israel eine Vertretung mit 15 Künstlern, zwei von ihnen malen mit den Füssen und der Rest mit dem Mund. Weltweit gehören etwa 800 Künstler diesem Netzwerk an.

Bracha Fischel malt – trotz oder gerade wegen des schweren Schicksalsschlags, den sie erlitten hat (Bild: privat).

Sich dieser Organisation anzuschliessen, eröffnete Bracha Fischel eine neue Welt: Sie begann Einladungen für Ausstellungen und Vorträge auf der ganzen Welt zu bekommen. So stellt sie beispielsweise jährlich in der Schweiz aus. In diesem Jahr sollte sie auch erstmalig 90 Malereien in Deutschland ausstellen, aber das Coronavirus machte ihr einen Strich durch die Rechnung und Bracha konnte für ihre eigene Ausstellung nicht anreisen. Und dass, obwohl sie sich besonders darauf gefreut hatte, Israel in Deutschland als „inoffizielle Botschafterin“ zu vertreten – die Ausstellung kam trotzdem dank Unterstützung der jüdischen Gemeinde und der deutschen Behörden in Cottbus hervorragend an und erfüllte Bracha Fischels Mission, Menschen durch Kunst miteinander zu verbinden.

Eine neue Unabhängigkeit

In Zeiten von Corona vermisst Bracha Fischel das Reisen und Kennenlernen von neuen Menschen. Den ganzen Tag zu Hause zu verbringen, fällt ihr nicht leicht. Und doch will sie auch die positiven Dinge in ihrem Leben sehen: Dazu gehört Dona. Als ihre Töchter und Freunde Bracha Fischel zu ihrem 60. Geburtstag mit der Idee für einen „Begleithund“ überraschten, war sie sich nicht sicher, ob sie das wirklich will. Heute ermöglicht ihr die schwarze Labradorhündin Dona eine neue Unabhängigkeit. „Der Begleithund muss dich wählen“, erklärt sie. Bevor sie Dona traf, lernte sie zwei andere potentielle Begleithunde kennen, aber erst mit Dona funkte es. Die Hündin bringt ihr Pinsel, füllt leere Wasserbehälter auf, trägt Mal-Lappen in den Wäschekorb und bringt Bracha Fischel ihr Handy, wenn sie es braucht. Inzwischen sind Bracha und Dona unzertrennlich. Mindestens genauso unzertrennlich wie Bracha und ihre Arbeit als Malerin. „Die Malerei ist meine Hand, meine Beine, meine Seele.“

Malerei von Bracha Fischel

Bracha Fischels Arbeiten sind detailliert, vielschichtig, wunderschön ruhig und ihr Talent und ihre technischen Fähigkeiten sind in jedem Bild klar erkennbar. Oft malt sie Bilder mit Acrylfarben und Aquarelle von Landschaften in der Schweiz und Israel.

„Ich kann sie vielleicht nicht umarmen, aber ich kann ihnen zuhören.“

Darüber hinaus hält sie Vorträge und engagiert sich für Inklusion. Ehrenamtlich verbringt sie viel Zeit in Altenheimen, um dort ältere Menschen zu besuchen, die sonst niemand besucht: „Ich kann sie vielleicht nicht umarmen, aber ich kann ihnen zuhören.“ Auch ihren Kampf für die Rechte für behinderte Menschen will Fischel niemals aufgeben, egal, ob es um jemanden geht, der widerrechtlich einen Behindertenparkplatz belegt hat oder darum, dass ein Gebäude nicht behindertengerecht gebaut wurde. Bracha weiss: Indem sie diese Themen anspricht, hilft sie nicht nur sich selbst, sondern allen anderen, die in einer ähnlichen Situation wie sie leben.
Jeden Freitag widmet sich Bracha ein paar Stunden lang dem Schreiben einer persönlichen Nachricht, die sie mit ihren neusten Zeichnungen an eine wachsende Liste von Interessenten auf der ganzen Welt verschickt. Bracha Fischel kann sich vielleicht nicht mehr so bewegen, wie früher, aber ihr lebendiger, liebenswürdiger und weiser Geist berührt jeden Menschen, den sie trifft. Auf die Frage, welche Weisheit sie einem mitgeben möchte, antwortet sie entschlossen: „Es gibt gesunde und kranke Menschen. Wir können deprimiert sein oder das nehmen, was wir haben und etwas daraus machen. Selbst wenn es nur ein Lächeln ist, wir haben immer die Möglichkeit, etwas zu geben. Ja klar, im Rollstuhl zu sitzen ist furchtbar, aber das Leben geht weiter. Und Gott macht keine Fehler.“

Malerei von Bracha Fischel

Weitere Informationen:

Webseite von Bracha Fischel

Malkurs mit Bracha

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

Die neusten Artikel von Die Schweiz in Israel

Nach Oben