Eine Studie von Dr. Christian Thauer untersucht die Vorteile aus der Verbindung deutscher Industrie und israelischer Startups. Wie optimiert man Kooperationen und zieht größtmöglichen Nutzen für beide Märkte?
Von Christian Thauer
Auf der ganzen Welt und auch in Deutschland kennt man Israel als die „Startup Nation“ mit den disruptivsten technologischen Innovationen. Wie diese seit den neunziger Jahren die wirtschaftlichen Beziehungen mit Deutschland beeinflussen, wurde bisher weder untersucht, noch spiegeln die wirtschaftsstatistischen Daten diese wider.
Bei Betrachtung des Handelsvolumens zwischen Israel und Deutschland, wie es in Abbildung 1 zu sehen ist, stellt man seit 1980 und bis dato eine lang anhaltende und stete Steigerung der Im- und Exporte fest, die das BIP-Wachstum reflektieren, während das Handelsdefizit zwischen beiden Ländern einen jähen Anstieg verzeichnete. Demgemäß scheinen sich die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen im Laufe der Jahre nicht wesentlich verändert zu haben. Doch während der Handel in den achtziger Jahren vornehmlich auf dem Tausch „Orangen gegen Autos“ fußte – sprich, einfache Waren, wie sie Israel als eine in der Entwicklung befindliche Wirtschaft hervorbringt, gegen den Import von Luxusgütern aus dem hochindustrialisierten Deutschland – ist Israel heute längst kein Agrarstaat mehr. Seit den neunziger Jahren definiert sich Israel wirtschaftlich in hohem Maße über innovative Informationstechnologien. Der Anstieg der israelischen Innovationsindustrie scheint sich jedoch auf die negative Handelsbilanz mit Deutschland nicht niederzuschlagen.
Quelle: Thauer, Elbron und Swisa 2017
Dies überrascht bei näherer Betrachtung auch nicht weiter, da diese Daten sich lediglich auf den Warenhandel, also physische Güter, zwischen beiden Ländern beziehen, der Dienstleistungen nicht berücksichtigt. IT und IP, also Informationstechnologien und geistiges Eigentum, sind jedoch Dienstleistungen, und um einer potentiellen Veränderung in den deutsch-israelischen Wirtschaftsbeziehungen Rechnung zu tragen, ist der Handel von Waren und Dienstleistungen zu untersuchen. Daten hierfür sind zwar erst seit 2012 verfügbar, legen jedoch ein wesentliches Handelsdefizit Deutschlands gegenüber Israel auf dem Dienstleistungssektor offen.
Quelle: Thauer, Elbron und Swisa 2017
In den Jahren vor dem Aufstieg Israels zu einem technologischen Innovationszentrum prägte ein ‘gewöhnliches’ Handelsdefizit die israelisch-deutschen Wirtschaftsbeziehungen – wahrscheinlich fehlen uns einfach die historischen Daten zum Dienstleistungshandel, das dieses Defizit etwas relativiert. Heute definiert diese Beziehungen ein doppeltes Ungleichgewicht, wie aus Abbildung 3 ersichtlich ist: ein großes Handelsdefizit auf israelischer Seite in Bezug auf materielle Güter und ein auffallendes Handelsdefizit auf deutscher Seite in Bezug auf immaterielle Güter/Dienstleistungen. Rechnet man diese Defizite gegeneinander auf, ergibt sich ein sehr verändertes Bild, als es die herkömmlichen Statistiken zeichnen, die lediglich den Waren- und nicht den Dienstleistungshandel berücksichtigen.
Quelle: Thauer, Elbron und Swisa 2017
Es war zu erwarten, dass Israels Wandel zu einem Innovationshub im IT-Bereich auch einen weiteren Wirtschaftsaspekt mit Deutschland berühren würde, nämlich die Art der Geschäfts- und Investitionsbeziehungen der beiden Länder. Israelische Innovationen konzentrieren sich vornehmlich auf solche in frühen Stadien, was man disruptive Innovation nennt. Geschäftsmodelle der israelischen Startupunternehmen befassen sich daher nicht mit dem Verkauf eines Produktes, sondern mit der Erfindung und Entwicklung neuer Technologien, für die es noch keine umrissenen Märkte gibt. Ihr Ziel ist es, Investoren und strategische Partner anzulocken, um den ‘Exit‘ zu machen, sprich, die Technologie zu verkaufen.
In unserer Studie möchten wir daher den Investitionsumfang zwischen Deutschland und Israel analysieren. Es ist die erste ihrer Art, die systematisch untersucht, warum deutsche Unternehmen in Israel investieren und warum israelische in deutsche. Die Ergebnisse israelischer Direktinvestitionen in Deutschland und deutscher Direktinvestitionen in Israel sind separat zu betrachten.
Wieso investieren israelische Unternehmen in Deutschland?
Israels Aufstieg zu einem innovativen IT-Weltmarktführer hat die Investitionen israelischer Unternehmen in Deutschland nicht sonderlich beeinflusst. Sie investieren auch heute vornehmlich, um an den Zielmarkt von Endkunden und Geschäftspartnern in Deutschland und Europa (und über diesen auch an den der arabischen Welt) zu gelangen. Rund 80-90% aller israelischen Direktinvestitionen in Deutschland haben zum Motiv, sich Marktzugang zu verschaffen. Die israelisch-deutschen Handelsbeziehungen stehen unter dem im Juni 2000 in Kraft getretenen Assoziationsabkommen mit der EU (das im Jahr 2000 überarbeitet und um landwirtschaftliche Erzeugnisse erweitert wurde). Hierin vereinbaren die Europäische Gemeinschaft und ihre Mitglieder mit Israel eine Importpolitik mit Präferenz, die beide Märkte zur Freihandelszone erklärt und den Export ins jeweilige Zielland maßgeblich erleichtert.
Allerdings sind Kapitalmärkte oft oligopolistisch oder sie sind mit Handelsbarrieren versehen, die nicht zollpolitischer Art sind und ausländischen Gesellschaften Markteintritt oder -erweiterung nur unter der Auflage von Direktinvestitionen ermöglichen, unter die M&A, Neuinvestitionen oder Joint Ventures fallen. Als herausragendes Beispiel der letzten Jahre hierfür kann wahrscheinlich der Erwerb von Ratiopharm durch das israelische Pharmaunternehmen Teva in 2010 genannt werden. Zur Zeit des Kaufs war Ratiopharm der weltweit sechstgrößte Generikaproduzent und sowohl in Deutschland als auch in anderen europäischen Ländern Marktführer. Durch das Riesengeschäft verschaffte sich Teva Zugang zu diesen Märkten.
Außer für den Marktzugang nach Deutschland sind 20% der israelischen Investitionen vornehmlich damit begründet, ihre Chancen bei öffentlichen Ausschreibungen oder Beschaffungsverfahren zu verbessern. Dies gilt in erster Linie in den Bereichen der Rüstung und Sicherheit. Israel und Deutschland sind strategische Partner mit enger sicherheitspolitischer Zusammenarbeit und einem entsprechend florierenden Markt in beiden Ländern, der in keiner offiziellen Statistik abgebildet ist. Die Bieter wissen, dass Entscheidungsträger sich leichter tun, wenn ein „lokaler“ Anbieter mit im Boot ist, der Arbeitsplätze für Beschäftigte im Inland schafft oder sichert, statt im Ausland. Mittels ausländischer Direktinvestitionen können sie sich dann als lokale Anbieter positionieren und ihre Zuschlagchancen bei Ausschreibungen erhöhen. Nur 5-10% aller israelischen Direktinvestitionen werden getätigt, um Technologien in Deutschland zu kaufen oder Zugang zu deutschen Innovationen zu bekommen. Ein wichtiges Beispiel in diesem Zusammenhang ist der Erwerb der Federmann-Gruppe im Jahr 1994, als sie in Sachsen ein auf Halbleiter spezialisiertes Unternehmen, die heutige Freiberger Compound Materials GmbH, kaufte. Es ist deshalb ein viel zitiertes Geschäft, handelt es sich doch um eines der wenigen erfolgreichen Privatisierungsmaßnahmen der seinerzeitigen Treuhand Gesellschaft zur Veräußerung der staatseigenen DDR-Unternehmen. Die heute noch einzigartige Technologie der Freiberger Compound Materials findet sich in den meisten modernen Mobiltelefonen, die weltweit verkauft werden.
Wieso investieren deutsche Unternehmen in Israel?
Während Israels Positionierung als Startup Nation keinen Einfluss auf seine Direktinvestitionen in Deutschland hatte, ist bei den deutschen in Israel sehr wohl ein Wandel zu vermerken. Bis vor nicht allzu langer Zeit ähnelten ihre Strukturen denen der israelischen Gesellschaften, wie sie in Abbildung 4 dargestellt sind. Heute sind nur noch weniger als die Hälfte der deutschen Direktinvestitionen hauptsächlich auf Kundengewinnung, Geschäftspartnerabschlüsse oder Gewinnchancenerhöhung im öffentlichen Auftragswesen ausgerichtet.
Seitdem Israel zum Weltmarktführer für Innovationen im IT-Bereich avancierte, bildete sich ein neues Motiv für Investoren heraus, die nunmehr den Zugang zum israelischen Innovationsmarkt suchen und dort Technologien erstehen möchten – besonders gefragt sind Optometrie, Bilderkennung, Cyber-Sicherheit, virtuelle (VR) und erweiterte Realität (AR), sowie Applikationen für soziale Netzwerke. Mehr als 50% der deutschen Direktinvestitionen in Israel fließen in Innovation. Sie werden nahezu sämtlich von Großunternehmen getätigt, die ganz oben auf der globalen Rangliste der Industrialisierung und Wertschöpfungskette stehen. Und mehr als die Hälfte der deutschen Großkonzerne, die den Aktienindex der DAX 30 stellen – etwa Volkswagen, Siemens, Deutsche Bank, Deutsche Telekom, Innogy (ehem. RWE), Bosch, die Münchner Rückversicherung, Daimler oder BMW – haben in den letzten Jahren eifrig in Israel investiert oder befinden sich gegenwärtig im Zuge, und sie tun dies fast ausnahmslos, um sich am israelischen Innovationsmarkt zu beteiligen.
Besonders Gesellschaften, die nicht aus dem IT-Sektor kommen, wissen, dass sie mit ihren Geschäftsmodellen auf den Weltmärkten zurückfallen, weil ihr Produktsortiment zwar optimiert, doch konventionell ist und damit von technologischen Revolutionen und IT verdrängt zu werden droht. Hierzu zählt auch die Automobilindustrie, und daher sucht sie disruptive IT-basierte Neuerungen, um die technologische Revolution mitzugestalten und damit ihre eigene Zukunft zu sichern. Und genau diese Nachfrage vermögen Israels Startups zu decken.
Beispiele für Investitionen in neue israelische Technologien sind BMWs Kooperationsabkommen mit Mobileye von 2011 bis 2017, oder das 2016 gegründete Moia, ein Unternehmen in der VW-Gruppe, das neue Technologiepartner sucht und eine strategische Investition in GETT getätigt hat, das als israelische Version der US-amerikanischen UBER bekannt ist. Doch wie erwähnt suchen deutsche Unternehmen auch mittels ihrer Direktinvestitionen den „Zugang“ zum israelischen Innovationsmarkt, indem sie Informationen über neue Trends erspähen und Technologien und Startups ausmachen, in die man zukünftig investieren kann.
Strategische Handlungsempfehlungen
Diese Ergebnisse lassen sich am besten unter dem Aspekt des Ergänzungsprinzips von Innovation und Industrie analysieren: die Institutionen in Deutschland fördern den weltweiten Export qualitativ hochwertiger und optimierter deutscher Erzeugnisse. Deutsche Unternehmen sind für ihre kontinuierliche und konsequent qualitative Produktion bekannt, nicht jedoch für disruptive Innovation. Israel hat hingegen ein Ökosystem, das Unternehmen genau in dem begünstigt, was die deutschen Firmen schlechter können: disruptive, radikale Innovation. Hier haben die Israelis den Wettbewerbsvorteil, der jedoch einen Nachteil in sich birgt: normalerweise fehlt den israelischen Erfindern das, was ihre Idee zur lukrativen Massenware werden lässt. Mittels der Investition in das jeweils andere Land können Unternehmen dessen Vorteile nutzen, ohne ihren Heimvorteil preisgeben zu müssen. In anderen Worten: Investition in Innovation ermöglicht beiden, Deutschland und Israel, den größtmöglichen Vorteil aus ihren eigenen Geschäftsmodellen zu ziehen, ohne unnötige Risiken und Ausgaben. Deutsche und israelische Unternehmungen sollten möglichst Hand in Hand gehen.
Welche strategische Handlungsempfehlung ergibt sich daraus?
Die jeweiligen Märkte sollten eine Korrektur ihrer Geschäftsmodelle anstreben, um die Mechanismen, die gegenwärtig ihren Entwicklungen entgegenstehen, möglichst einzudämmen. Für Deutschland bedeutet das, möglichst auch kleine und mittelständische Unternehmen in den Innovationsprozess mit einzubinden, an dem vorläufig mehrheitlich die großen deutschen Konzerne beteiligt sind. Den einzelnen KMUs fehlt es häufig an Ressourcen für Direktinvestitionen in Innovationen. Deshalb bietet sich die Einrichtung einer Mittelstandsinitiative Israel. Sie kann Ressourcen entsprechend gemeinsamer Bedürfnisse bündeln, die bei KMUs oft die bereits erwähnten Bereiche betreffen: Optometrie, Bilderkennung, Cybersicherheit, VR und AR, sowie Applikationen für soziale Netzwerke. Diese Themen können durch bilaterale Forschungsteams und öffentliche Programme gefördert werden. Die Koordination einer solchen Bündelung ließe sich durch eine Stelle wie die AHK Israel realisieren, die kollektive Fonds für Direktinvestitionen steuern und so dem Mittelstand den Zugang zu Israels Innovationsmarkt ermöglichen kann.
Eine weitere Hürde betrifft den Technologietransfer zwischen israelischen Startups und deutschen Investoren, die oft an der ungewissen Skalierbarkeit der Innovationen scheitert. Skalierbarkeit bezieht sich auf zwei Aspekte eines Geschäftsmodells: des (Massen-)Marktpotentials des Produktes – also, ob der Prozess oder das Ergebnis eine nennenswerte Nachfrage stillt – und der Möglichkeit des Verarbeitungssystems, große und wachsende Arbeitsabläufe ohne Qualitätseinbußen zu bewältigen. Für deutsche Investoren ist Skalierbarkeit häufig die Vorbedingung für den Technologietransfer.
Israelische Startups hingegen konzentrieren sich normalerweise eher auf die frühen Stadien des Lebenszyklus ihrer Innovation, wo die Skalierbarkeit noch ungewiss ist. Das bedeutet für die deutschen Investoren, dass sie nach dem Erwerb noch weiter in die Entwicklung der Technologie investieren müssen. Die Unwägbarkeit solcher Folgekosten und das damit verbundene Risiko stehen den Investitionsstrategien von Unternehmen jedoch entgegen. Damit das Modell des Ergänzungsprinzips von Innovation und Industrie gelingt, schlagen wir die Bildung eines neuen Forschungs- und Entwicklungsrahmens zwischen Deutschland und Israel vor, in dem israelische Innovationen mit Hilfe öffentlicher Forschungseinrichtungen zu weiterer Reife gelangen können. Im Zentrum eines solchen Rahmens würde ein Forschungsinstitut stehen, das, ähnlich wie das Fraunhofer Institut, mit privaten und öffentlichen Geldern arbeitet und außer Universitäten und Instituten der angewandten Forschung auch große Unternehmen einbindet. Diese Einrichtung sollte in Israel aufgebaut werden, wo die Innovationssuche stattfindet. Eine solche Maßnahme würde deutschen Entscheidungsträgern eine strategische Umorientierung der deutsch-israelischen Forschungszusammenarbeit mit dem Ziel ermöglichen, die deutsche Industrie an der Spitze technologischer Innovation zu wissen, in Zeiten von Quantensprüngen und technologischer Ungewissheit. Für Israel würde sich daraus der Vorteil ergeben, seine Entwicklungen in Israel zu weiterer Reife zu bringen, wodurch Arbeitsplätze und Einkommen generiert werden könnten.
Weitere Informationen:
Der Artikel ist ein Auszug aus dem Magazin der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer, das gesamte Magazin finden Sie hier.