MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Ehrung für Carl Lutz – ein Held zur richtigen Zeit

in Die Schweiz in Israel/Israel Zwischenzeilen/Reportagen

Carl Lutz gilt in der Schweiz oft als vergessener Held. In Israel hingegen wurde er bereits als Gerechter unter den Völkern geehrt. Jetzt wurde ein Gedenkplatz über dem See Genezareth zu seinen Ehren eingerichtet…

Der Ausblick ist traumhaft hier oben. Weit über dem See Genezareth, da, wo Israel ein bisschen an die Schweiz erinnert. Dort steht er nun, der Gedenkstein, der an den Mann erinnert, den man in der Schweiz in einer gleichnamigen TV-Doku als „vergessenen Held“ bezeichnete. Carl Lutz, der erste Schweizer, der von Yad Vashem als Gerechter unter den Völkern geehrt wurde, ist in Israel aber alles andere als ein Vergessener und der Stein, mit den Worten „Seine Zivilcourage ist uns Vorbild und Ansporn“ ist nur eine weitere Anerkennung, die man ihm für seine Taten zuteil haben lässt.

Dank der Schutzbriefe, die Lutz in seiner Funktion als Vize-Konsul in der Schweizer Botschaft in Budapest ausstellte, konnten gut die Hälfte aller Budapester Juden vor der Vernichtung durch die Nazis gerettet werden. 62.000 Juden rettete er, indem er mit Adolf Eichmann einen ungewöhnlichen Deal aushandelte. Dabei bezog sich der Schweizer Diplomat auf ein angebliches britisches Mandat, 8.000 Jüdinnen und Juden die Emigration nach Palästina zu ermöglichen. Dass die Nazis dieser Forderung zustimmten, lag auch an ihren guten Beziehungen zu Lutz, die er während seiner Zeit als Diplomat im damaligen Palästina aufgebaut hatte.

Unvergessliche Jahre in Palästina

„Sechs unvergessliche Jahre in Palästina“, betitelte Lutz in seinen persönlichen Aufzeichnungen seine Zeit im Heiligen Land, die begann, als er Mitte der Dreissiger Jahre in das Konsulat in Jaffa wechselte. Seine Bilder – Lutz war ein begeisterter Hobby-Fotograf – die er in diesen Jahren gemacht hat, sind unter dem Ausstellungstitel „Der Retter und seine Kamera“ in Yad Vashem zu finden. Es ist eine faszinierende und ungewöhnliche Sammlung, gespickt mit Notizen zu Belangen, um die sich der Schweizer im damaligen Palästina kümmerte. Unter anderem assistierte er Deutschen in Kriegsgefangenschaft und versuchte ihre Haftbedingungen zu verbessern. Es war diese Hilfe, die ihm später eine gute Position in den Verhandlungen mit den Nazis verschaffte. Und wer sich noch ein bisschen mehr mit der Biografie des tiefgläubigen Methodisten beschäftigt, erkennt schnell, dass die Rettung der Juden für Lutz eine Entscheidung ohne Alternativen war.

Fotografie von Carl Lutz: Bank der Tempelgesellschaft in Jaffa mit Hakenkreuzfahne

Für diese Rettung riskierte Carl Lutz sein Leben. Denn er überschritt das ihm zugesagte Kontingent um ein Mehrfaches und bot den ungarischen Juden mit der Anmietung des ungenutzten Schauraums einer Glasfabrik (bekannt als das Glashaus) und der dortigen Errichtung einer Aussenstelle der Schweizer Gesandtschaft auch physischen Schutz. Dabei war Carl Lutz in seinen jungen Jahren sogar zu schüchtern gewesen, um die Ausbildung zum Pfarrer, sein eigentlicher Traumberuf, zu absolvieren.

Eine Frage des Gewissens

Für Carl Lutz waren die Entscheidungen, die er als Vize-Konsul in Ungarn während des Zweiten Weltkriegs traf, wohl eher so etwas wie eine Frage des Gewissens. Er, der das Leben immer über Vorschriften und Gesetze stellte, war kein geborener Held, tat im Angesichts des Schreckens aber das, was er als gottesfürchtiger Mensch für das einzig richtige hielt.

In seiner Heimat wird er jedoch nach dem Krieg wegen Kompetenzüberschreitung abgestraft. Anerkennung für seine Taten erfährt Carl Lutz in der Schweiz zu seinen Lebzeiten nicht mehr. In Israel hingegen hat man ihn dafür schon früh gebührend geehrt. Auch in Deutschland wurde Carl Lutz mit dem Grossen Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Für seine Stieftochter Agnes Hirschi, die Tochter einer ungarischen Jüdin, deren Leben Carl Lutz rettet, indem er sie als Haushaltshilfe anstellte und die er nach dem Krieg heiratete, ist das Gedenken an Carl Lutz mittlerweile auch so etwas wie eine Lebensaufgabe geworden.

Carl Lutz im Jahr 1944 (FORTEPAN /ARCHIV FÜR ZEITGESCHICHTE ETH ZÜRICH / AGNES HIRSCHI )

„Es erfreut mich besonders, so viele Menschen hier zu sehen, die dank meines Vaters überlebt haben“, sagte Agnes Hirschi in ihrer Rede auf dem Carl-Lutz-Gedenkplatz, „Ich glaube, ich habe noch nie so viele Überlebende zusammen an einem Ort gesehen – das ist etwas sehr besonderes für mich.“ Gemeinsam feiern sie hier, hoch über dem See Genezareth, dort, wo Jesus Kranke und Sterbende geheilt hat, einen ganz besonderen Mann – und der Ausblick hätte Carl Lutz sicherlich am Besten gefallen.

Frau Agnes Hirschi und Dr. Arthur Braunschweig der Augustin-Keller Loge Zürich (Bnai Brith) (Bild: Jacques Korolnyk)

Die Initiative für den Gedenkplatz und -stein kam von der Augustin-Keller Loge Zürich, die das Projekt gemeinsam mit den Bnai Brith Logen der Schweiz, dem Jüdischen Nationalfonds/KKL Schweiz, der Stadtverwaltung Tiberias‘ und der Schweizer Botschaft in Israel realisiert hat.

Besucher am Carl Lutz Gedenkplatz mit Blick über den See Genezareth (Bild: Michael Huri, KKL)

Video von der Zeremonie (Credit: Ralph Steigrad)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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