MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Besuch im Jugenddorf Hadassah Neurim: „Ich sehe mich in jedem Kind“

in Deutschland in Israel/Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport/Reportagen/Wirtschaft & Innovation

In Israel gibt es mehrere Jugenddörfer, in denen Kinder und Jugendliche wie in einem Internat leben. Die meisten von ihnen kommen aus sozial schwachen, oftmals überforderten Elternhäusern. Im Jugenddorf „Hadassah Neurim“ bekommen sie nicht nur die Liebe und Zuwendung, die zu Hause oft fehlte, sie werden auch auf ein Leben nach der Schule vorbereitet…

Wenn Natan Biton durch „sein“ Dorf spaziert, wird seine Wärme förmlich spürbar. Hier ein „Schalom Ihr Süßen“ und vertraute, beiläufige Schulterklopfer für seine Jugendlichen, dort ein kurzer Wortwechsel mit einer der neuen Schülerinnen, deren Akzent im Hebräischen darauf hinweist, das sie ursprünglich aus Russland oder der Ukraine kommt. Man muss gar nicht lange bei Natan Biton zu Besuch sein, es ist sofort klar, dass die Leitung des Jugenddorfes Hadassah Neurim bei Netanya mehr als ein Job für ihn ist. Es ist seine Berufung. Denn in dem Jugenddorf und Internat leben Kinder ab zwölf Jahren, die meist einen guten Grund dafür haben, dass sie nicht mehr zu Hause sein wollen. Es gibt Kinder, die ohne Lesefähigkeiten nach Hadassah Neurim kommen, die zu Hause nie Strukturen oder Regeln kennengelernt haben und viele, die vor allem Liebe und Zuwendung brauchen.

Natan Biton mit einer Gruppe von Schülern (Bild: Katharina Höftmann)
Natan Biton mit einer Gruppe von Schülern (Bild: Katharina Höftmann)

Ich sehe mich in jedem Kind“, sagt Natan nachdenklich bei unserem Rundgang. Er hatte selbst grosse Probleme in der Schule, hat geschwänzt, abgebrochen und wieder angefangen. Dann Ingenieurwissenschaften und Business Management studiert. Nach vielen Jahren in der freien Wirtschaft scheint er als Direktor von Hadassah Neurim an seinem Bestimmungsort angekommen zu sein. Natan, der mit seiner Frau, zwei Töchtern und einem Adoptivsohn selbst im Dorf lebt, hat aber nicht nur Verständnis und Wärme für die Kinder übrig, sondern vor allem eine Vision. Das Dorf, das auf eine technologische Ausbildung spezialisiert ist, will Kinder zu Erwachsenen machen, die die israelische Gesellschaft verändern können: „Wir haben hier ein System ähnlich der deutschen Berufsausbildung aufgebaut. Tatsächlich sind wir die einzigen in Israel, die eine Ausbildung mit Meisterprüfung anbieten. Unsere Schüler können beispielsweise Automechaniker, Schweißer, Fachkräfte für Umweltwissenschaft, Schwermaschinenbau oder Mechatroniker werden. Wir geben ihnen eine Ausrüstung fürs Leben.“

Jugendliche mit diversen kulturellen Hintergründen

In Israel gibt es bisher keine strukturierte Berufsausbildung wie man sie aus Deutschland oder der Schweiz kennt und das Land steuert auf einen Fachkräftemangel zu. Die eher berufsbezogenen Schulen, die es im Land gibt, vermitteln ihr Wissen oft nur theoretisch, es mangelt an Praxis und Relevanz. In Hadassah Neurim gibt es deswegen nicht nur die modernsten Werkstätten, sondern auch viele fruchtbare Kooperationen mit Unternehmen wie Toyota, Volvo und Siemens. Schülergruppen werden in einem Austauschprogramm nach Deutschland geschickt, um dort mehr über die Berufe, die sie lernen, zu erfahren.

Eine der modernen Werkstätten für die Berufsausbildung (Bild: KH).
Eine der modernen Werkstätten für die Berufsausbildung (Bild: KH).

Aufgrund der technologischen Ausrichtung sind etwa 70 Prozent der 446 Schüler männlich. Ihre kulturellen Hintergründe sind umso diverser: Neben gebürtigen Israelis leben Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion, äthiopische Juden, Drusen und sogar eine Handvoll afrikanischer Flüchtlinge aus Eritrea im Jugenddorf. Die meisten absolvieren auch noch ihre Vorbereitung auf den Militärdienst in Hadassah Neurim.

Einer von den Jugendlichen, die im Rahmen ihrer Ausbildung zum ersten Mal nach Deutschland fliegen werden ist der 17-Jährige Ron. Die Vorfreude auf die Reise ist ihm und seinen Klassenkameraden ins Gesicht geschrieben. Nicht alle von ihnen leben auch in Hadassah Neurim, aber diejenigen, die hier ein Zuhause gefunden haben, schwärmen in höchsten Tönen von ihrem Alltag: „Wir haben hier alles. Wir können Leichtathletik machen, Krav Maga (ein israelischer Kampfsport, Anm. d. Red.), Gitarre spielen oder Surfen.“ Sogar ein eigenes Theater hat das Jugenddorf, in dem jeden Freitag Veranstaltungen stattfinden. Das Wohnheim, viele der Bungalows mit Blick aufs Meer, muten mit ihren Terrassen und Hängematten wie ein Ferienresort an.

Was wir machen, machen wir in bestmöglicher Qualität“

Was wir machen, machen wir in bestmöglicher Qualität“, erklärt Natan Biton mit Blick auf die neuen Werkstätte und ihre hochwertige Ausstattung. Dieses Motto gilt aber auch für das pädagogische Konzept des Jugenddorfes, das 1948 für jüdische Flüchtlingskinder gegründet wurde. Viele der 130 Mitarbeiter kümmern sich in den verschiedenen Einrichtungen von Sportförderung bis Bauernhof und Streichelzoo vor allem auch um die psychologisch-soziale Behandlung der Kinder.

Daneben leben auch etwa 50 Familien im Dorf, die Hilfe brauchen und eingebunden werden wollen. Und alle haben ihre eigenen Geschichten. „Unsere Betreuerin im Streichelzoo ist eigentlich aus einer ultraorthodoxen Familie, sie hat sechs Kinder. Sie ist eine unheimlich beeindruckende Frau…ach, wir haben hier so viele spannende Biografien…“, erzählt Natan lachend, während er mit seinem Jeep durch das Dorf fährt. Ab und zu dreht er das Radio auf und singt fröhlich mit. Dann muss er leider weg. Ein israelisches Fernsehteam ist gekommen, um einen der eritreischen Schüler zu portraitieren. Er ist ein erfolgsversprechender Athlet, der hier im Jugenddorf entdeckt wurde.

Jugenddorf mit Surfschule und Blick aufs Meer (Bild: KH).
Jugenddorf mit Surfschule und Blick aufs Meer (Bild: KH).

 

Meerblick von der Anlage (Bild: KH).
Meerblick von der Anlage (Bild: KH).

Weitere Informationen:

Weitere Informationen:

Webseite des Jugenddorfes (hebräisch)

Einer der jugendlichen Bewohner stellt das Jugenddorf Hadassah Neurim vor:

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

Die neusten Artikel von Deutschland in Israel

Nach Oben