MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

„Jiddisch ist immer noch ein verletzter Körper, der viel Blut verloren hat“

in Israel Zwischenzeilen/Reportagen

Seit einigen Jahren wird die Renaissance des Jiddischen in Israel gefeiert. Die rund tausend Jahre alte Sprache der europäischen Juden hatte es nicht leicht im Jüdischen Staat, der mit dem Leitbild des Zionismus auch das Hebräische als Amtssprache wiederbelebte. Jahrelang war Jiddisch in Israel verpönt, mittlerweile gibt es zwar ein Jiddisches Theater und Museum, selbst das Abitur/die Matura kann im Fach Jiddisch abgelegt werden – aber das umgangssprachliche Jiddisch bleibt trotzdem gefährdet…

Von Katharina Höftmann

Bild I love Jiddisch front

„Jiddisch is die Sprach wos ich hab sehr stark lieb“, singt die berühmte israelische Sängerin Nizza Thobi in ihrem Lied „Jiddisch is gor nischt asoj schwer“. Doch das war bei weitem nicht immer so. Gerade im Jüdischen Staat war das Sprechen der tausend Jahre alten Sprache der europäischen Juden lange verpönt. Nach dem Holocaust liess der erste Premierminister Israels, David Ben Gurion, Theaterspiele, Aufführungen und Zeitungen auf Jiddisch sogar kurzerhand verbieten. Eine gesetzliche Regelung, die bis in die Fünfziger Jahre galt und deren Nichtbeachtung von der Polizei verfolgt wurde. Jiddische Journalisten mussten eigene Verbände gründen, Bücher wurden nur zaghaft übersetzt oder gar in der Sprache herausgegeben. Das Jiddische stand symbolisch für die schmerzhafte Vergangenheit des Judentums, die Schwachen, die Opfer.

„Der Grossteil in unserem Kibbuz Glil Yam waren Einwanderer aus Deutschland und Polen, sie sprachen Jiddisch, so wie auch meine Eltern. Aber die Sprache war unheimlich unbeliebt. Man wollte der neue Israeli, der starke Israeli sein. Uns jungen Leuten waren Alten mit ihrem Jiddisch und ihrer seltsamen Kleidung, den Jacken, den Anzügen, gelinde gesagt peinlich.“, erzählt der israelische Schauspieler Sassi Keshet, der seit knapp zwei Jahren das einzige jiddischsprachige Theater Israels, das „Yiddish Spiel“ leitet. Auch heute will Keshet mit „Yiddish Spiel“, das seinen Sitz in Tel Aviv hat aber im ganzen Land Stücke aufführt, in erster Linie gutes Theater machen. Dass die Stücke in Jiddisch spielen, soll das Publikum im besten Fall gar nicht wirklich wahrnehmen.

Die Fackel des Jiddischen hochhalten und damit auch die Erinnerung an den Holocaust

Übernommen hat Keshet die Theaterleitung von Shmuel Atzmon-Wircer. Der Shoa-Überlebende Atzmon-Wircer hatte „Yiddish Spiel“ 1987 mit Hilfe des Kulturministeriums und der Stadtverwaltung Tel Aviv gegründet. „Ich habe mich immer gefragt, welcher Verrückte wird das Theater übernehmen, nachdem Shmuel Atzmon-Wircer die Leitung abgibt. Er war doch unersetzbar. Im Leben dachte ich nicht, dass ich dieser Verrückte sein werde.“ Wenn Keshet verrückt sagt, ist es „meshugge“ auf Hebräisch, so wie im Jiddischen. Ein Wort, das auch im deutschen Sprachgebrauch verbreitet ist. Kein Wunder, ist das Jiddische doch aus dem Mittelhochdeutschen hervorgegangen, angereichert mit hebräischen, aramäischen und weiteren Sprachelementen. Keshet hat sich die „meshuggene“ Entscheidung nicht leicht gemacht. Für ihn, der im Land in erster Linie als Schauspieler und Sänger bekannt ist, bedeutet die Theaterleitung nicht nur, dass er damit keine weiteren Projekte mehr annehmen kann. „Die Mission und das Thema dieses Theaters sind so wichtig und ich empfinde es als grosse Ehre, dass ausgerechnet ich gebeten wurde, die Leitung zu übernehmen. Ich habe mich daran erinnert, wie wir uns für die jiddisch sprechenden Leute in unserem Kibbuz geschämt haben – ihnen war ich es schuldig, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich wollte ihnen Respekt zollen. Es ist so wichtig, die Fackel des Jiddischen hochzuhalten und damit auch die Erinnerung an den Holocaust.“

Das Jiddische bleibt in Israel nach wie vor eng mit der Erinnerung an die Shoa verbunden. Auch wenn man mit Mendy Cahan spricht, der im neuen Busbahnhof im Süden Tel Avivs nicht nur ein jiddisches Museum sondern eine Art Begegnungsstätte der „Jiddischkeit“ geschaffen hat, geht es schnell um den Völkermord der deutschen Nationalsozialisten an 6 Millionen Juden: „Ich habe immer gedacht, Hitler hat nicht gewonnen, wir Juden leben, mein Vater hat Auschwitz überlebt, Israel existiert. Aber als ich nach Israel einwanderte, habe ich begriffen, dass soviel von unseren Erinnerungen, unserer Kultur und unserer Zivilisation komplett zerstört wurde. Hier waren wir, 40 Jahre später, eine Kultur von 15 Millionen Menschen mit hunderten von Jahren Historie, die plötzlich wie weggewischt waren.“ Cahan selbst kommt aus einer orthodoxen Familie in Belgien, in der vor allem Jiddisch gesprochen wurde. Trotzdem dauerte es eine ganze Weile, bis er sich wirklich mit der jiddischen Literatur und Kultur beschäftigen wollte: „In Israel habe ich mich zum ersten Mal mit jiddischer Literatur auseinandergesetzt und plötzlich ist mir klar geworden, wieviel jiddische Literatur es gibt und wie sehr die Sprache zu mir gehört.“

Über 40.000 jiddische Bücher stehen im Jiddischen Museum in Tel Aviv

1991 gründete Cahan den Verein „YUNG YiDiSH“, der sich für den Erhalt der jüdischen Sprache einsetzt. Angefangen in einem kleinen Raum in der Nähe des Busbahnhofs in Jerusalem, organisiert Cahan heute in Jerusalem und Tel Aviv nicht nur Konzerte, Lesungen und Theateraufführungen auf Jiddisch, sondern hat über 40.000 jiddische Bücher aus der ganzen Welt gerettet. Sein „Jiddisches Museum“ im Busbahnhof in Tel Aviv, bestehend aus einem kleinen Vorraum und einer grossen Halle, über der man kontinuierlich die Busse schnaufend entlang rollen hört, ist wie eine Insel. Wenn man die ruhigen Räume, mit der kleinen Bühne und den Tausenden Büchern betritt, kann man kaum glauben, dass ein solcher Ort im multikulturellen Gewühl des mehrstöckigen Busbahnhofs im Süden Tel Avivs existiert. Vor allem Shoa-Überlebende haben Mendy Cahan Bücher aus ihren privaten Bibliotheken überlassen. Damit zeigt die Sammlung ein echtes Kaleidoskop von dem, was tatsächlich gelesen wurde. Die Bücher haben Gebrauchsspuren, sie haben gelebt. Cahan ist mit seiner Vespa durchs ganze Land gefahren, um sie einzusammeln. Sie zu retten, wie er sagt.

„Eine ganze Menge an Büchern habe ich von einer älteren Frau bekommen, die nach dem zweiten Weltkrieg als sehr idealistische 24-Jährige nach Israel gekommen war, um hier ein Land aufzubauen. Sie war Lehrerin in einem Kibbuz und begann mit den Kindern Jiddisch zu sprechen, aber diese wollten davon nichts hören. Für sie war Jiddisch etwas geradezu Hässliches. Und die Lehrerin wusste nicht, wie sie das ändern sollte. Ihr Mann hatte ihr immer gesagt, sie werden Jiddisch nicht sterben lassen – nicht in Israel. Aber erst als ich gekommen bin und ihr von meinem Projekt erzählt habe, konnte sie es glauben.“ Von einer „etablierten Ignoranz“ spricht Cahan, wenn er die vielen jüngeren Israelis der zweiten Generation beschreibt, die vom Jiddisch ihrer Eltern nichts wissen wollten.

„Es gibt ein Revival und gleichzeitig auch nicht.“

Anders als das jiddische Theater, kann Cahan nicht auf die Unterstützung vom Kulturministerium oder sonstigen staatlichen Stellen in Israel zählen. „Sie haben mir alle immer ganz aufmerksam zugehört und dann gesagt, wie toll meine Initiative sei, aber dass ich schon alleine klar kommen würde. Ich sei ja noch jung. Das höre ich seit 20 Jahren.“ Cahan, der in diesem Jahr Fünfzig wird, seufzt mit Blick auf seine kleine Welt der Jiddischkeit. Das Museum, die Veranstaltungen, die Kurse, all das, was er aus eigener Kraft aufgebaut hat. Das Geld ist nach wie vor sein grösstes Problem. Die Stadtverwaltung fordert Steuergelder von ihm, die Cahan schlicht nicht zahlen kann. Für viele Fördermassnahmen fällt er aus dem Raster: „Ich bin nicht Hebräisch und auch nicht Ungarisch. Jiddisch können viele gar nicht einordnen.“ Die Jubelrufe über die Renaissance des Jiddischen sieht er kritisch: „Es gibt ein Revival und gleichzeitig auch nicht. Seit Jahren wird gesagt, schaut, das Interesse steigt an, wir haben eine Wiedergeburt des Jiddischen. Aber das sind eher so kleine Wellen. Jiddisch ist immernoch ein verletzter Körper, der viel Blut verloren hat.“ Für Cahan läuft es trotzdem nicht schlecht: Bis zu 300 Leute besuchen sein Museum pro Woche. Vor allem das politische Interesse am Süden Tel Avivs, in dem die Konflikte zwischen alt eingesessenen Anwohnern und afrikanischen Flüchtlingen immer brennender werden, kommt dem kleinen Museum zu Gute. Ganze Delegationen besuchen den Busbahnhof, der als symbolisches Zentrum der Konflikte gilt, und kommen dann auch im Jiddischen Museum vorbei.

Mit der dritten Generation, die in Israel nach dem Holocaust lebt, verliert das Jiddische endlich einen grossen Teil der negativen Assoziationen. Die öffentliche Einstellung zur Sprache wandelt sich langsam. Jiddisch ist unter einigen jungen Leuten geradezu hip. Das Abitur/die Matura kann in dem Fach Jiddisch abgelegt werden, Universitäten im Land bieten Sommerkurse und das Theater „Yiddish Spiel“ produziert drei bis vier neue Aufführungen im Jahr, die im ganzen Land vor begeisterten Besuchern gezeigt werden. Sassi Keshet, glaubt, dass sich die Menschen nach der Sprache der Vergangenheit sehnen. Und seitdem sie ihre jiddischen Stücke auch in arabischen, drusischen und beduinischen Gemeinden aufführen, hat das „Yiddish Spiel“ einen ganz neuen Fankreis gewonnen. „Für viele beduinische, arabische oder drusische Jugendliche ist es das erste Theaterstück, was sie sehen. Das erste Mal, das sie ein Theater betreten. Jiddisch haben sie schon gar nicht zuvor gehört. Aber wenn man dann sieht, wie sie die Stücke geniessen, wie sie minutenlang klatschen, wieviel sie von der Jiddischkeit spüren und wie ernsthaft sie über die Shoa lernen, das ist schon sehr aufregend.“

 

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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