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Kollaps des Tourismus in Israel: Eine Branche kämpft ums Überleben

in Israel Zwischenzeilen/Reportagen/Tourismus & Natur

Fast zwei Jahre nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober steckt Israels Tourismusbranche in ihrer tiefsten Krise seit Jahrzehnten. Die Zahlen sind dramatisch eingebrochen, Existenzen stehen auf dem Spiel – und eine rasche Erholung scheint nicht in Sicht.

„Derzeit verzeichnen wir etwa eine Million Touristen pro Jahr“, sagt Yossi Fattal, Direktor der Incoming Tour Operators Association, im Gespräch mit Ynet. „Aber ein Drittel davon sind keine klassischen Touristen, sondern Menschen, die ihre Familien besuchen.“ Zum Vergleich: Im Jahr 2019 – vor der Pandemie – reisten noch 4,9 Millionen Touristen nach Israel. „Wir sind wieder auf dem Niveau der COVID-Ära“, so Fattal.
Die wirtschaftlichen Auswirkungen seien enorm. „Der Incoming-Tourismus war früher Israels fünftgrösster Exportsektor, mit einem Volumen von rund 40 Milliarden Schekel (10,7 Milliarden US-Dollar). Er machte 7 Prozent der nationalen Exporte aus – heute sind es nur noch 2 Prozent.“ Besonders dramatisch sei die Lage in den Peripherieregionen, wo rund 15 Prozent der Arbeitsplätze direkt oder indirekt vom Tourismus abhängen. „Städte wie Tiberias, Nazareth oder Safed hätten ohne den Tourismus kaum wirtschaftliche Basis“, warnt Fattal.

Schlechtes Image hält viele Touristen fern

Doch nicht nur die Sicherheitslage schrecke Reisende ab – auch Israels internationales Image habe seit dem Beginn des Krieges schweren Schaden genommen. „Der internationale Ruf ist ein strategischer Vorteil für jedes Land. Israel muss der Welt zeigen, wie das Leben hier wirklich aussieht. Tel Aviv ist lebendig, die Cafés sind voll. Aber im Ausland sehen alle nur schreckliche Bilder aus Gaza. Und der Staat unternimmt nichts, um das zu ändern.“

Joel Bloch, Gründer und Geschäftsführer des Reiseunternehmens G&S Travel WeRIsrael, bestätigt diesen Eindruck aus seiner Praxis. Sein Unternehmen arbeitet eng mit dem israelischen Aussenministerium zusammen, das regelmässig internationale Delegationen ins Land bringt. „Nach dem 7. Oktober war sofort alles auf Eis gelegt. Erst vor ein paar Monaten kamen die ersten Gruppen wieder – im Juni waren es rund 60 Delegationen aus aller Welt. Bürgermeister, Journalist:innen, Fachleute – eingeladen zur Imagepflege Israels.“

Viele Absagen nach dem jüngsten Iran-Krieg

Diese Gruppen seien für ihn aktuell ein Lichtblick in dunkler Zeit. „Andere Reiseveranstalter hängen noch immer komplett in der Krise fest“, sagt Bloch. Doch auch dieses zarte Pflänzchen sei gefährdet: Nach dem iranischen Raketenangriff im Juni wurden viele geplante Delegationsreisen erneut verschoben oder gestrichen. Flüge wurden abgesagt, manche Fluggesellschaften haben ihre Flüge nach Israel immer noch nicht wieder aufgenommen.

Der reguläre Tourismus liegt weiter am Boden. „Wir sind seit über 45 Jahren in der Branche – aber so schlimm und so langanhaltend wie jetzt war es noch nie. Selbst während der zweiten Intifada war es nicht so still. Heute reicht eine einzige Rakete, und sofort sagen die Airlines ihre Flüge ab.“ Das Vertrauen sei erschüttert, die Unsicherheit gross. „Die Leute fragen sich: Was passiert, wenn mein Flug wieder gestrichen wird? Es ist ein ständiges Improvisieren.“
Für Bloch gibt es zwei Hauptgründe, warum Reisende aktuell ausbleiben: „Zum einen natürlich die Sicherheitslage. Viele empfinden Israel einfach nicht mehr als sicheres Reiseziel. Zum anderen – und das ist vielleicht noch entscheidender – spielen politische Gründe eine Rolle. Viele sagen: ‚Wir fahren nicht nach Israel, solange Gaza bombardiert wird.‘ Gerade in Deutschland ist die Haltung sehr politisch geprägt.“

Viele Unternehmen mussten Mitarbeiter entlassen

Die wirtschaftlichen Folgen zeigen sich auch auf dem Arbeitsmarkt. „Wir konnten dank einer Sonderregelung für fünf bis sechs Monate unbezahlten Urlaub nehmen und trotzdem Arbeitslosengeld beziehen. Das hat uns über Wasser gehalten“, berichtet Bloch. „Viele andere Unternehmen hatten diese Möglichkeit nicht und mussten ihre Mitarbeiter entlassen.“
Auch organisatorisch musste das Unternehmen umdenken. „Unser Büro in Caesarea ist gross – die Kosten für Miete, Steuern und Betrieb waren auf Dauer nicht tragbar. Deshalb haben wir es untervermietet und sind komplett ins Homeoffice gewechselt. Jetzt, wo es langsam wieder anzieht, haben wir den Untermietern mitgeteilt, dass wir die Räume in drei Monaten zurücknehmen werden.“

Trotz aller Herausforderungen bleibt Bloch zuversichtlich. „Wenn der Krieg erst einmal zu Ende ist, werden die Touristen wiederkommen. Jesus war hier – Israel wird immer ein faszinierendes Reiseziel bleiben. Unser Motto ist: Geduld bringt Rosen. Wir sind Optimisten. Es ist nur eine Frage der Zeit. Wer diese Krise übersteht, wird gestärkt daraus hervorgehen.“

Jerusalem wird immer ein Tourismusmagnet sein (Bild: By askii – Dome of the Rock seen from the Mount of Olives, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=154641343).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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