MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne: Israel lässt mich nicht alleine

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Ich werfe Ihnen jetzt mal ein paar Zahlen um die Ohren, liebe Leserinnen und Leser: Ich lebe mit meinen zwei Kindern im Zentrum von Tel Aviv. Für unsere etwa 90 Quadratmeter grosse Wohnung zahle ich im Monat 8.200 Schekel (2.300 Euro, CHF). Dazu kommen Wasser-, Grundsteuer-, Strom-, Telefon- und Internetkosten, die insgesamt etwa bei 600 Schekel (170 Euro, CHF) pro Monat liegen. Für den Kinderhort (Öffentlicher Kindergarten ab 3 Jahren und die Schule gehen nur bis Mittag, braucht man eine Betreuung bis 16 Uhr, muss man für den Hort bezahlen) kommen pro Monat noch einmal 2000 Schekel obendrauf, die ich mir mit dem Vater der Kinder teile (also pro Nase ca. 280 Euro, CHF). Allein diese monatlichen Fixkosten liegen also bei fast 3.000 Euro/CHF. Und jetzt bin ich noch nicht einmal in einem Supermarkt gewesen und habe Lebensmittel gekauft, geschweige denn neue Turnschuhe für meine Jungs (jeder der Kinder hat, weiss, wie teuer Schuhe sind und wie oft man sie kaufen muss). Wenn ich wöchentlich 500 Schekel (140 Euro, CHF) für Lebensmittel rechne – und das reicht eigentlich nicht, jeder der in Israel schon mal im Supermarkt war, weiss das – heisst das, ich müsste im Monat 3.310 Euro/CHF NETTO verdienen, um meine Rechnungen zu bezahlen.

In einem Land, in dem das Durchschnittsgehalt aktuell bei 11.000 Schekel BRUTTO liegt (ca. 3.000 Euro und CHF), ist das eine absurde Zahl. Und ja, Tel Aviv ist noch einmal deutlich teurer als der Rest des Landes, aber eigentlich nur, was die Mieten und Eigentumswohnungspreise angeht. Die Lebensmittelkosten sind zum Beispiel überall im Land hoch. Man könnte sagen, Israel hat seine Bewohner in eine finanzielle Zange gefangen genommen. Die Tatsache, dass Israelis oft bis ins hohe Alter von ihren Eltern finanziell unterstützt werden und Kredite und Kontoüberziehungen allgemein akzeptiert sind und als normal empfunden werden, sind wahrscheinlich die einzigen Erklärungen dafür, dass die Menschen in diesem Land überhaupt noch irgendwie leben können.

Und ja es stimmt, die ganze Welt ist teurer geworden, in der Eurozone beispielsweise hat die Inflation gerade neue Rekordwerte erreicht. Gegenüber dem Vorjahresmonat erhöhten sich die Verbraucherpreise um 8,6 Prozent, wie das Statistikamt Eurostat am Dienstag in Luxemburg mitteilte. Schuld daran seien vor allem der Krieg in der Ukraine und die harten Coronamassnahmen in China. Auch in Israel sind die Preise für Verbrauchswaren im Vergleich zum Vorjahr um 4,1 Prozent gestiegen, Immobilien sind aktuell sogar 15,4 Prozent teurer als im vergangenen Jahr. Das Problem? Israel war auch schon vorher ein extrem kostspieliges Vergnügen. Tel Aviv trägt seit diesem Jahr sogar den zweifelhaften Titel der „Teuersten Stadt der Welt“ noch vor Metropolen wie London, New York und Zürich – nur halt ohne das Gehalt, das viele Menschen in diesen Städten verdienen. Aber nochmals, man muss nicht in Tel Aviv leben, um dieses Land unbezahlbar zu finden.

Ich bin jetzt seit über einem Jahr von dem Vater meiner Kinder getrennt, seit einigen Monaten offiziell geschieden und ich wundere mich inzwischen nicht mehr, warum Israelis so schnell wieder neu heiraten. Man kann diese horrenden Kosten in diesem Land eigentlich nur zu zweit stemmen. Als ich neulich auf einem Panel war, auf dem über Feminismus in Israel diskutiert wurde, sagte dort die Moderatorin, dass 98 Prozent aller Kinder in Israel in Ehen hineingeboren würden. Und das mag daran liegen, dass Israel natürlich trotz allem ein sehr traditionelles Land ist, in dem mehr als die Hälfte der Bewohner als religiös und traditionell beschrieben werden kann – aber bestimmt auch daran, dass man es sich hier schlichtweg nicht leisten kann, alleinerziehend zu leben.

Als ich neulich eine Bituach Leumi (Sozialversicherungsbeiträge)-Nachzahlung in Höhe von fast 4.000 Euro bekam, überlegte ich zum ersten Mal, ob ich nicht schnellstmöglich wieder mit jemandem zusammenziehen sollte. Ich rechnete mir aus, wieviel Geld ich sparen würde, wenn ich mir Miet- und Lebenserhaltungskosten wieder mit jemandem teilen würden. Während meine beste Freundin in Berlin auch als Single Mom ganz gut über die Runden kommt, halte ich das in Israel auf lange Sicht für quasi unmöglich. Ich sage ja immer, dass Israel ein extrem kollektiv geprägtes Land ist, Familien sind gross und der Zusammenhalt irgendwie auch. Naja und alleine leben kann man sich schlichtweg nicht leisten. Israel mag mich zwar in seiner finanziellen Zange klemmen haben, aber alleine, alleine lässt es mich nicht sein.

Frisches Obst ist in Israel im vergangenen Jahr fast 20 Prozent teurer geworden – da suchen Leute preiswertere Alternativen wie diesen günstigen Obst- und Gemüsehandel in Jaffa (Bild: KHC)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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