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Jerusalem: Kunst im Schatten

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Schon seit einigen Jahren scheint Tel Aviv das unangefochtene Zentrum zeitgenössischer israelischer Kunst zu sein – das Jerusalemer Kunstfestival Manofim und einige andere Institutionen zeigen jedoch, dass sich Israels Hauptstadt nicht verstecken muss…

Auf dem langen kahlen Krankenhaus-Flur mit den hohen Decken sitzen ein paar Patienten, die auf ihre Termine warten. Dazwischen: Kunst. Videoinstallationen, Fotografien und Skulpturen. Sie alle sind Teil der Ausstellung „Nurse, Nurse“ (zu Deutsch: Krankenschwester, Krankenschwester). Das Jerusalemer Innenstadtkrankenhaus Bikur Cholim, untergebracht in einem imposanten Gebäude aus dem 19. Jahrhundert, scheint wie gemacht dafür, Kunst in diesem Rahmen zu präsentieren: Herausgekommen ist eine Ausstellung, die so echt und so roh ist, dass man sich immer wieder daran erinnern muss, dass man durch eine Kunstausstellung läuft und nicht durch eine Filmkulisse.

Die Ausstellung „Nurse, Nurse“ findet im Rahmen des Manofim Festivals statt (Bild: KHC).

Arbeiten von Snir Kazir, Ran Slapak, Reut Asimini und Gideon Gechtman und vielen anderen israelischen Künstlern zeigen Aspekte von Geburt und Sterben, von Krankheit und Mutterschaft (die eben oft im Krankenhaus beginnt) auf eindrückliche und sehr vielfältige Weise. Die Performance „Rettung“ des Künstlerkollektivs „Public Movement“ setzt sich unter einem inszenierten Schutthaufen im Hof schonungslos mit der Rettung in Katastrophenszenarien auseinander – und das an einem Ort, der in Zeiten der Intifada als einziges Innenstadtkrankenhaus Jerusalems viele der Terroropfer behandelt hat. Traumata, die noch heute in seinen Wänden spürbar sind. Und die sich mit der Kunst auf aussergewöhnliche Weise verbinden und sie doch auch seltsam isoliert dastehen lassen.

Wichtige Räume für den Austausch über Kunst

Bikur Cholim, ein vergleichsweise kleines Krankenhaus, dass aufgrund seiner Lage vorwiegend die ultraorthodoxe und arabische Bevölkerung in Jerusalem bedient, kämpft seit Jahren ums Überleben. Das gegenüberliegende Gebäude wurde bereits geschlossen, unter den Augen des Gesundheitsministeriums, das nicht bereit war, weitere Finanzspritzen für die Einrichtung zu gewähren. Im jetzigen Hauptgebäude, in dem auch die Ausstellung stattfindet, gibt es immerhin seit ein paar Jahren eine neue Entbindungsstation. Für Lee He Shulov und Rinat Edelstein, die Gründerinnen des Kunstfestivals Manofim, bot das Krankenhaus die perfekte Location für eine ungewöhnliche Ausstellung im Rahmen ihres Festivals.

Zuschauer der Kunst- Performance von „Public Movement“ (Bild: KHC).

Manofim ist seit elf Jahren das offizielle Event zeitgenössischer Kunst in Israels Hauptstadt. Das Festival wird u.a. durch die Jerusalem Foundation unterstützt, deren Arbeit und Programme auf so vielen verschiedenen Ebenen in der Stadt, sei es in Schulen, Nachbarschaftszentren oder eben Kunstausstellungen, unverzichtbar scheint. Mit den Art Cube Artists‘ Studios hat die Jerusalem Foundation daneben einen weiteren Raum für den Austausch über Kunst geschaffen, der gerade in einer Stadt wie Jerusalem, eine der ärmsten im Land, so wichtig ist. Mit seiner Gründung 1982 war der Komplex, der zwischen Autowerkstätten im Viertel Talpiot liegt, die erste israelische Institution, die Künstlern subventionierte Studios bot. Heute hat hier nicht nur Manofim sein Hauptquartier, sondern auch das Onlinemagazin „Harama“. Daneben gibt es ein lokales das internationale Residency-Program LowRes Jerusalem unter der Kuratorin Maayan Sheleff, das Künstlern ermöglicht, in insgesamt 15 Studios bis zu fünf Jahre ohne finanzielle Sorgen zu kreieren.

„Die Stadt ist unübersichtlich“

Der Schweizer Künstler Georg Keller ist einer von ihnen. Im Rahmen eines von der Dr. Georg und Josi Guggenheim Foundation aufgestellten Programms, das den Austausch zwischen israelischen und Schweizer Künstlern fördern soll, ist Keller für insgesamt drei Monate nach Israel gekommen. Dass er zwei davon in Tel Aviv und nur einen in Jerusalem verbrachte, ist sicherlich symptomatisch dafür, wie sehr Tel Aviv als Zentrum zeitgenössischer Kunst in Israel wahrgenommen wird, und wie sehr Jerusalem eben nicht.
Zu unrecht, wie auch Keller findet, den vor allem die „fremden Kulturen“ faszinieren und davon findet er in Jerusalem genug: „In Tel Aviv konnte ich die ‚Codes‘ einfacher lesen als hier. Die Stadt ist schon allein durch ihre Topographie unübersichtlich. Auf Hügeln gebaut, hat man selten einen Überblick, kann Alleen nicht überschauen.“ Für Keller, der mit seiner Frau und zwei Kindern für die Residenz zum ersten Mal nach Israel gekommen ist, stellt das Programm eine hervorragende Gelegenheit da, um Eindrücke und Informationen zu sammeln: „Eine fremde Kultur kennenzulernen, bietet die Möglichkeit, die eigenen Referenzsysteme und Identität zu überprüfen. Die grösste Herausforderung ist, die gesammelten Informationen erst einmal nicht zu werten und ich weiss natürlich, dass ich daran scheitern werde.“

Neben Studios für Künstler beherbergen die Art Cube Artists‘ Studios auch eine kleine Galerie (Bild: KHC).

Keller, der in Warschau und Zürich lebt, weiss noch nicht, welches Gesamtbild er sich über Israel bilden und welche Kunst daraus dann entstehen wird, aber um seinem Motto „Kunst ist eine Forschung, die neues generieren soll“ entsprechend zu arbeiten, ist Jerusalem ein perfekter Anknüpfungspunkt. Denn vielleicht ist gerade die Tatsache, dass Jerusalems Kunstwelt seit einigen Jahrzehnten im Schatten der Tel Aviver steht, der Grund dafür, wie ruhig und unaufgeregt sich Kunstinstitutionen hier entwickeln können. Und wie einzigartig Ausstellungen wie „Nurse, Nurse“ sind, die zwischen den Besonderheiten der Stadt und ihren Künstlern einen Bogen spannen.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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