MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne: An all die Eltern da draussen

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In dieser Woche ist eine israelische Mutter gestorben. Nicht irgendeine Mutter, sondern Liora Argamani, die Mutter von Noa Argamani. Die ganze Welt hatte zugeschaut, wie Noa am 7. Oktober von palästinensischen Terroristen auf einem Motorrad entführt wurde. Die ganze Welt hatte die blanke Angst in ihren Augen gesehen, als sie „please don’t kill me“ rief, ihre Arme in Richtung ihres Freundes Avinathan ausgestreckt, mit dem sie kurz vorher noch auf dem Nova-Festival getanzt hatte und der nun von bewaffneten Männern durch den kargen Westnegev gestossen wurde.

Kurz danach lernten wir Noas Vater kennen, sein Weinen, sein Flehen um die Rückkehr seines einzigen Kindes, trafen uns alle mitten ins Herz. Irgendwann trat auch Noas Mutter vor die Kameras. Eine stille, sympathische Frau. Sie sprach Hebräisch mit einem starken Akzent, geboren war Liora in China. Zum Zeitpunkt von Noas Entführung litt sie bereits an einem Hirntumor. Es war Noa gewesen, die sich intensiv um die Behandlung ihrer Mutter gekümmert, die notwendigen Termine für medizinische Untersuchungen vereinbart und koordiniert hatte und es war dieser Aspekt, der mich besonders berührte.

Wir Eltern erkennen uns in den Eltern des 7. Oktobers wieder

Mein grosser Sohn ist erst 10, aber auch er liest mir Nachrichten auf Hebräisch vor, wenn ich sie nicht verstehe. Übersetzt für mich, wenn mir etwas unklar ist. Buchstabiert Wörter, von denen ich nicht weiss, wie man sie auf Hebräisch schreibt. Es ist das typische Phänomen von Einwandererkindern, dass sie ihren Eltern oft mit alltäglichen Dingen helfen müssen. Ich sah Lioras Mutter, hörte ihren Akzent und erkannte mich in ihr wieder. Wobei die Wahrheit natürlich ist, dass wir Eltern uns in all den Eltern des 7. Oktobers wieder erkennen. Egal, ob es sich um die Bibas-Eltern handelt oder um die armen Seelen, die ihre gefallenen Söhne beweinen. Dieser Krieg, der nun schon so lange andauert, konfrontiert uns alle mit unseren grössten Ängsten. Für mich ist die grösste vorstellbare Angst, eines meiner Kinder zu verlieren.

Neulich verschwand mein kleiner Sohn, 7 Jahre, bei einer Schulparty am Strand. Es dämmerte bereits und aus irgendeinem Grund war ich überzeugt davon, dass er im Wasser abgetrieben sein musste. Wir suchten ihn und seinen Kumpel, der ebenfalls nirgendwo zu sehen war, etwa fünf, sechs Minuten, völlig verzweifelt am Strand. Und wie ich da so rannte, tränenüberströmt, vom schlimmsten ausgehend, hämmerte mir nur ein Gedanke im Hirn: Das war’s, dein Leben ist zu Ende. Das ist der Tag, an dem alles endet. Als die beiden Hasen völlig ahnungslos schliesslich anspaziert kamen (sie hatten an einer völlig ungefährlichen kleinen Meerespfütze neben den Felsen gespielt, so vertieft, dass sie uns nicht hörten und so versteckt, dass wir sie im Halbdunklen nicht entdeckten), konnte ich die Erleichterung nicht fassen. Es war als hätte mir jemand in diesem Moment mein Leben noch einmal geschenkt, und seins noch dazu. Es ist dieses Glück, diese Erleichterung, die ich allen vom 7. Oktober betroffenen Eltern und Grosseltern wünsche. Ob dein Kind 7 Jahre oder 37 ist, ist nämlich am Ende völlig egal, dein Kind wird immer dein Kind sein und wenn es vor dir stirbt, wird es immer das Ende bedeuten.

Als Noa Argamani vor ein paar Wochen von der israelischen Armee aus ihrer Gefangenschaft in Gaza befreit wurde, war ihre erste Frage, ob ihre Mutter noch lebt. Dass Liora ihre Tochter vor ihrem Tod noch ein paar Wochen bei sich hatte, ist der einzige Trost in diesen Zeiten der gebrochenen Herzen. Dass sie sieben Monate in furchtbarer Angst um sie leben musste, während ihr Krebs aggressiv voranschritt, ist etwas, das kein Mensch erleben sollte.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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