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Die Behandlung von Kindergeiseln: Es durfte nicht wie ein Krankenhaus sein

in Israel Zwischenzeilen/Medizin & Wissenschaft

Auch für die Geiseln, die bereits aus der Hamas-Gefangenschaft befreit wurden, müssen im Land Kräfte gebündelt werden. Das Schneider Children’s Medical Center hat sich nach der Befreiung um die meisten Kindergeiseln gekümmert. Die Direktorin des Krankenhauses, Dr. Efrat Bron-Harlev, bemühte sich schon lange bevor die Kinder freigelassen wurden, um ihr Wohlergehen. In einem umfassenden Interview mit der Zeitung Haaretz hat die Ärztin nun auf beeindruckende Art und Weise berichtet, wie die Mitarbeiter sich auf die Ankunft der zurückgegebenen Kindergeiseln vorbereiteten.

Eingehens erklärt sie in dem Interview, warum ausgerechnet ihr Krankenhaus für diese Aufgabe ausgewählt wurde, zwar hätten andere Krankenhäuser auch sehr gute Kinderstationen, dort sei aber das Tagesgeschäft vor allem die Behandlung von Erwachsenen: „Hier denken wir nur an Kinder. Jeder, der hier arbeitet, ist kinderorientiert. Der Elektriker macht seine Arbeit anders, mit Rücksicht auf sie, genauso wie der Hausmeister und der Koch und natürlich das gesamte medizinische Team.“

„Wir werden nicht umarmen, wir werden keine Fragen stellen“

Trotzdem war die Vorbereitung auf die zurückgekehrten Geiseln im Kinderalter unfassbar herausfordernd, der Vorschlag der Ärztin an ein renommiertes Wissenschaftsmagazin, über die Behandlung von Kindergeiseln zu schreiben, wurde brüsk abgelehnt. „Wir haben die medizinische Fachliteratur durchforstet und sind nicht wirklich fündig geworden.“ Bron-Harlev und ihre Kollegen mussten also selbst ein Protokoll für die Behandlung von Kindergeiseln entwickeln: „Wir begannen mit der Infrastruktur. Es war klar, dass es nicht wie ein Krankenhaus sein durfte, sondern eher wie ein Zuhause sein musste. Die Kinder müssten sich dort sicher und beschützt fühlen, und sie und ihre Familien brauchten auch Privatsphäre und Bereiche, in denen sie herumlaufen oder zusammensitzen können.“

Daneben versuchte Bron-Harlev mit ihren Kollegen eine Art Handlungsfaden zu entwickeln: „Wenn man nicht weiss, was man tun soll, sollte man nichts tun. Also sagten wir: Wir werden nicht umarmen, wir werden keine Fragen stellen, wir werden uns nicht einmischen, wir werden nichts anfassen. Was werden wir tun? Mein Stellvertreter und ich beschlossen, dass wir beobachten würden. Dass wir diejenigen sein würden, die zum Hubschrauberlandeplatz gehen und die Ankommenden selbst beurteilen würden, um ihren Zustand zu verstehen. Wir wussten, dass wir erfahren genug waren, um zu verstehen, was wir sehen würden.“

Nicht alle Ängste konnten antizipiert werden

Dabei haben die Ärztin und ihr Team versucht, auf jedes Detail zu achten: „Wir hatten einen besonderen Eingang in einem versteckten Bereich vorbereitet, aber es gab einen Gang in diesem Bereich, von dem ich bei den Vorbereitungen dachte, dass er sie erschrecken könnte, weil er ein wenig wie ein Tunnel aussah. Ein langer, fensterloser Gang, unterirdisch. Wir hängten also überall israelische Flaggen auf, um ihnen das Gefühl zu geben, dass sie zu Hause waren.“ Trotzdem gelang es dem Team nicht immer, alle möglichen Sorgen und Hindernisse zu antizipieren. So erzählt Bron-Harlev in dem Interview von einem Jungen, der trotz der Fahnen Angst hatte in dem Gang. Und davon, wie die ersten Kindergeiseln nicht in einem Zimmer, sondern im Flur auf ihre Eltern trafen, was später geändert wurde. Alle im Krankenhaus behandelten Kinder waren medizinisch gesehen in einigermassen guter Verfassung, trotzdem blieben die meisten mehrere Tage dort.

„Wir haben keine Fragen gestellt, aber sie haben sehr schnell angefangen zu reden. Alle zogen es vor, anfangs ihre Zimmer nicht zu verlassen. Wir haben geduldig gewartet. Wir haben die Station ruhig gehalten, still. Und dann ging es los, wie bei diesen Zeichentrickfiguren, die den Kopf herausstrecken, nach rechts und links schauen und dann schnell den Rückzug antreten. Irgendwann fassten sie den Mut, nach etwas zu essen zu fragen. Schnitzel und Kartoffelpüree.“

Die Hoffnung muss existieren

Dabei galt die Behandlung natürlich nicht nur den Kindern sondern auch ihren Angehörigen. Manche von ihnen waren gemeinsam mit ihren Müttern zurückgekehrt. Viele mussten ihre Väter, die ebenfalls am 7. Oktober entführt wurden, in Gaza zurücklassen. Die Chefärztin beschreibt die Verzweiflung einer Frau und Mutter, deren Mann sich immer noch in Gaza befindet und wie sie versuchte, dieser Frau Trost zu spenden: „Ich sagte ihr: Sie sind vor drei Tagen hier angekommen. Bis wir Sie hier stehen sahen, haben wir gefühlt, was Sie jetzt fühlen: Es herrscht Krieg, die Geiseln werden nicht überleben, sie werden es nicht schaffen. Und doch sind Sie hier. Sie haben 52 Tage unter schrecklichen Bombenangriffen überlebt; Sie wissen, dass man überleben kann. Sie wissen besser als ich, dass es möglich ist. Das ist die Sache mit der Hoffnung, sie muss existieren. Sie gibt uns Kraft.“

Der 9-Jährige Ohad und seine Mutter Keren Munder kurz nach ihrer Rückkehr aus der Hamas-Geiselhaft in Gaza, gemeinsam mit dem Vater und Bruder von Ohad (Bild: Schneider Children’s Medical Center).

Das ganze Interview mit Efrat Bron-Harlev können Sie hier lesen (eng).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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