MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Anonyme Drohbriefe als Lebensretter

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Zum internationalen Holocaust-Gedenktag veröffentlichte die Zeitung Haaretz kürzlich die berührende Geschichte des deutschen Juden Yakov Feibelmann. Dieser lebte in den dreissiger Jahren als erfolgreicher Geschäftsmann zusammen mit seiner Frau, seinen Kindern, seinen Eltern und einem Hausangestellten in einem grossen Haus im Zentrum der Altstadt von Memmingen, in Süddeutschland. Feibelmann besass eine Fabrik für Aluminiumfolie, war Mitglied des Stadtrats und hatte sogar ein eigenes Auto. Im Sommer fuhr er mit seiner Familie in den Urlaub an den See und im Winter zum Skifahren.

Doch als die Nazis an die Macht kamen, änderte sich das alles. Die Beweise dafür finden sich in den Händen seiner Enkelin Amira Korin, einer 75-jährigen Rentnerin. Sie bewahrt in ihrem Haus in Herzliya eine Postkartensammlung auf, die eine seltene Dokumentation darüber darstellt, wie sich das Leben ihres Grossvaters und das seiner Familie von einem auf den anderen Tag radikal änderte.

„Irgendwann um 1934 herum begann er, anonyme Hasspostkarten zu erhalten“, erzählt sie in der Reportage. Jede Postkarte enthielt Zeitungsausschnitte mit vergifteten Schlagzeilen oder Artikeln aus Der Stürmer, der antisemitischen Wochenzeitung. Einige enthielten antisemitische Karikaturen oder Zeichnungen eines Hakenkreuzes. Der anonyme Judenhasser fügte ausserdem seine eigenen Kommentare hinzu: „verfluchter Jude“, „dein Ende wird kommen“, „verschwinde“, „die Ratten verlassen das Schiff“, „die Juden sind unser Unglück“ und „jeder, der bei einem Juden kauft, ist ein Verräter“. Und er erhob verschiedene Anschuldigungen, wie dass die Juden Jesus gekreuzigt und sich im Ersten Weltkrieg der Einberufung entzogen hätten. Feibelman ignorierte diese Warnungen nicht, die dem Zweiten Weltkrieg und der Vernichtung der Juden, einige Jahre vorausgingen. Anfang 1935 teilte er seiner Frau Irma mit, dass sie die Stadt verlassen müssten. Er verkaufte seine Fabrik und sein Haus – mit Verlust, wie seine Enkelin berichtet – und zog mit seiner Familie ins britische Mandatsgebiet Palästina, wo Feibelman 1972 starb und seine Nachfahren bis heute leben. Bei seiner Flucht gelang es den deutschen Juden viele Andenken, Fotoalben, sogar Möbelstücke, und eben die 70 Droh-Postkarten mitzunehmen.

Feibelman weigerte sich Zeit seines Lebens noch einmal nach Deutschland zurückzukehren. Ein Teil der insgesamt 70 Droh-Postkarten, die der Unternehmer bekam, sind im Online-Archiv des Holocaust-Gedenkzentrum Yad Vashem ausgestellt. Ein anderer Teil tourt mit der Ausstellung „Feibelman muss weg“, zusammen mit einem gleichnamigen Buch, das die Geschichte der Familie anhand der Postkarten dokumentiert, aktuell durch Deutschland.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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