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Kolumne: Corona-Lockdowns – Ich will mich nicht daran gewöhnen

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Ich erinnere mich gut an März. Im März telefonierte ich mit meiner Mutter und sagte sowas wie: „Naja, bis Pessach ist der Quatsch vorbei und wir treffen uns wie geplant auf Zypern.“ Dann kam Pessach und wir sassen alle im Lockdown. Unseren Seder machten wir mit der Familie via Zoom. Jetzt ist es schon November und ich weiss manchmal ehrlich nicht, ob ich lachen oder weinen soll. Ein bisschen fühlt sich dieses Jahr wie ein Paralleluniversum an. Zuerst einmal sind da natürlich all diese Dinge, die ich für völlig unmöglich gehalten hätte, wenn sie mir jemand vor einem Jahr angekündigt hätte: „Ihr werdet alle Masken tragen“, „Es wird keine Flüge mehr von Tel Aviv nach Berlin geben“, „Ihr werdet ständig Panik haben, in zweiwöchige Quarantäne geschickt zu werden, weil irgendjemand in Kita, Schule oder Freundeskreis an einem Virus erkrankt ist“, „Es wird keine Konzerte, Restaurants, Theater- und Kinovorstellungen mehr geben“ und „Du wirst Menschen nicht mehr einfach umarmen können“ – nur mal so als Beispiele. Zum anderen hat sich auch mein Gefühl für Zeit völlig verschoben. Wie kann es einerseits sein, dass ich das Gefühl habe, 2020 hat eigentlich gerade erst angefangen und andererseits dauert es schon ewig?

Wow, dieses Jahr. Jetzt ist schon Mitte November und ich weiss immer noch nicht, ob ich während der Weihnachtszeit zu meinen Eltern fliegen kann. Ich weiss noch nicht mal, wann ich sie wiedersehen werde und schon gar nicht, wann sie mal wieder nach Tel Aviv kommen können. 2020 sass ich bisher nur zwei Mal im Flieger, einmal hin nach Frankfurt und einmal wieder zurück nach Tel Aviv. Im Vergleich dazu bin ich 2019 ganze 18 Mal geflogen. Dazu all die Restriktionen und Lockdowns, die uns immer wieder ans Haus gefesselt haben. Und weniger Arbeit, das auch ganz bestimmt. Ich gehöre zwar nicht zu denjenigen, die ihren Job verloren haben, aber die Bude rennt man mir mit neuen Aufträgen auch nicht gerade ein. Und selbst wenn ich Arbeit habe: Seit April etwa ist mein Mann im Home Office und ich habe den kleinen Rückzugsort, den ich zu Hause hatte – denn ich bin ja quasi seit mehr als zehn Jahren im Home Office – verloren. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe meinen Mann, aber können Sie sich vorstellen, immer aufeinander zu hocken? Wohin ich mich auch drehe, er ist immer schon da. Und so ist durch Corona, durch dieses kleine stachlig aussehende Virusding mein Leben so eng und klein geworden, aber nicht nur, weil wir alle nicht mehr Reisen können, oder weil wir auch zu Hause nun ständig zusammen sind, sondern weil uns der Sinn für Freiheit, das was wir einst als Freiheit verstanden haben, abhanden gekommen ist.

Wir sehen keine vollständigen Gesichter mehr, wir umarmen nicht mehr, wir halten Abstand und das, was unser soziales und kulturelles Leben einst mal ausmachte, liegt brach. Nach knapp neun Monaten Leben mit diesem Virus und der Bedrohung, die von ihm ausgeht, ist die Sehnsucht nach Dingen wie Theater, Tanzen gehen und sich auf dem Shuk HaCarmel durch eine Menschenmenge schieben, langsam auch schon nur noch eine Erinnerung. Ein bisschen haben wir uns alle an dieses seltsame Leben gewöhnt. Und doch: Immer wieder passiert es mir, dass ich mit einer Freundin darüber spreche, was wir machen können und Dinge sage wie: Sollen wir brunchen gehen? Oder essen? Und dann erst fällt mir ein, dass alles geschlossen ist. Aber trotzdem: Dass es mir immer noch nicht ganz in den Kopf will, dass das nun unser Leben sein soll, gibt mir Hoffnung. Denn ganz ehrlich, ich will mich nicht daran gewöhnen, so zu leben. Ich werde nie das Positive an dieser Pandemie sehen. Ich werde mich nie damit abfinden, dass ein kleines Virus uns alle Freiheiten (des westlichen Lebensstils) geraubt hat und ich werde immer inständig hoffen, dass der ganze Albtraum bald vorbei ist.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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