MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Portraits aus der Isolation: „Die Welt wird nach Corona eine andere sein, als vorher“

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport/Medizin & Wissenschaft

Israel ist seit mehr als einer Woche in einem Lockdown. Schulen, Kitas, Geschäfte und Restaurants sind geschlossen. Wir werden ab jetzt jede Woche mit Leuten im Land darüber sprechen, wie sie die Zeit in Isolation erleben…

Oliver Vrankovic, 40, Ramat Gan, Altenpfleger: „Da ich systemrelevant bin, gehe ich jeden Tag zur Arbeit und wundere mich über das System, das mir nie so viel Geld für meine Arbeit zugestanden hat, dass ich mir davon ein Auto kaufen kann und nun verlangt, dass ich mich nicht auf dem Weg zur Arbeit anstecke. Heisst, ich laufe jeden Tag 40 Minuten zur Arbeit und 40 Minuten zurück. Irgendwann wird es zur Abriegelung des Heims kommen.“ Oliver Vrankovic hatte eigentlich schon seinen Umzug nach Haifa geplant, den Job als Altenpfleger hatte er gekündigt und wollte sich stattdessen selbstständig machen – dann kam Corona und das Heim bat ihn, zurückzukommen. Vrankovic, Vater einer 8-Jährigen Tochter, kümmert sich nun nicht nur um seine Tochter, sondern unter schwierigsten Bedingungen auch um die Menschen, die der Corona-Virus am meisten bedroht: Täglich berichtet er von neuen Einschränkungen und Sicherheitsmassnahmen im Altersheim und beschreibt in seinen deutschsprachigen Posts die Schwächen des israelischen Gesundheitssystems und warum es in seinem Viertel wegen der Isolation jetzt zu viel mehr Familienstreits kommt: „Die Folgen der Ausgehrestriktionen sind ein vermehrtes Zusammensein von Partnern, die sonst mehr nebeneinander als miteinander leben. Man hört Abends mehr lautstarke Auseinandersetzungen als sonst und der Nachbarschaftsfunk berichtet bereits von damit zusammenhängenden Eskalationen. Im Viertel hat es schon vor Corona oft geknallt und der Gedanke daran, welcher Überdruck da in den nächsten Tagen und Wochen entsteht, ist beängstigend.“

Oliver Vrankovic bei seiner Arbeit als Altenpfleger (Bild: privat).

Janne Alexandrovitz, 42, Tel Aviv, Physiotherapeutin: „Seit letzter Woche kann ich als Physiotherapeutin nicht mehr arbeiten, was einerseits natürlich extrem schwierig ist, weil wir jetzt nur noch ein Einkommen haben, andererseits hat es für mich total den Stress rausgenommen. Ich bin jetzt voll und ganz mit unseren vier Söhnen zu Hause und unser Leben ist total entschleunigt. Es gibt einfach kein Programm, das ist irgendwie toll. Wir sind zu Hause und machen das Beste draus. Mein Mann ist selbstständig und arbeitet im Moment vor allem nachts, so dass wir uns tagsüber zusammen um die Kinder kümmern können und ich muss sagen, die erste Woche lief super.“ Für Alexandrovitz ist es wichtig, dass ihre Söhne, die im Alter von 8, 5 und 3 Jahren (Zwillinge) trotz allem eine Struktur haben und etwas lernen: „Morgens macht der Grosse immer seine Hausaufgaben, obwohl es ja für die Grundschule kein vorgegebenes System mehr gibt, aber wir geben ihm einfach so Aufgaben. Ich habe auch, als absehbar war, wie sich das ganze entwickeln würde, schon ganz viele Spiel- und Bastelsachen gekauft. Das hilft jetzt. Naja, und wenn sie mal doch eine Stunde mehr Fernsehen gucken, ist das auch okay. Aber natürlich frage ich mich schon: Was passiert, wenn das hier noch ewig weitergeht?“

Janne Alexandrovitz versucht das positive an dem Lockdown in Israel zu sehen: Viel entschleunigte Zeit mit den Kindern (Bild: privat).

Dvir Shastel, 25, Raanana, Gründer der Facebookgruppe „Isoliert“ für Israelis: „Ich bin ein bisschen ein Hypochonder und habe meinem Chef schon Ende Januar gesagt, dass ich nicht mehr ins Büro kommen werde und lieber von zu Hause arbeite. Da bin ich dann auch auf die Idee gekommen, die Facebook-Gruppe zu gründen.“ Fast 2000 Mitglieder hat die Gruppe mittlerweile. Mitglieder tauschen sich über Filmtipps genauso wie darüber aus, wie und wo man am Besten älteren Menschen und Leuten in Quarantäne helfen kann. Infos darüber, wie man jetzt am Besten Hilfe vom Staat bekommt, wenn man arbeitslos geworden ist oder beurlaubt wurde, werden genauso geteilt wie Rezepte, Playlisten und Witze. Dvir Shastel organisiert in der Gruppe auch immer mehr Live-Events mit Yoga, Meditation und Gitarrenunterricht, an der Mitglieder über Facebook teilnehmen können. „Ich will den Leuten die Zeit in der Isolation vor allem leichter machen, mit Humor und vielen good vibes“, diesen Optimismus hat Dvir Shastel auch in der Art, wie er die Corona-Krise sieht: „Unser Wirtschaftssystem und die Art, wie wir Wissen austauschen – das alles müssen wir jetzt ganz neu denken. Wir müssen uns alternative Konzepte überlegen und ich glaube, dass die Welt nach Corona eine andere sein wird, als vorher.“

Dvir Shastel hat eine Facebook-Gruppe gegründet, die Menschen das Leben in Isolation leichter machen soll (Bild: privat).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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