Gestern spazierte ich abends durch Jaffa. Von Tel Aviv aus gesehen, ist Jaffa wie ein anderes Land. Es gibt dort kleine, enge Gassen, Kirchen und Moscheen und Türen aus schwerem Holz, um die sich Bougainvilleen schlingen wie innige Liebhaber. Nun lustwandle ich in meinem Leben zwischen Schreibtisch, Kindergarten und schon wieder beim Fernsehen auf dem Sofa eingeschlafen leider viel zu wenig einfach mal so durchs Leben (und durch Jaffa). Aber ich war auf dem Weg zu einer Abendveranstaltung der Kulturabteilung der deutschen Botschaft, die Sonne ging über dem Mittelmeer unter und ich nahm mir eine Minute oder zwei und blieb einfach mal stehen. Das empört hupende Auto hinter mir erinnerte mich eine Sekunde später sofort daran, dass wir hier immer noch in Israel waren und ich keine verträumte Touristin.
Botschafts-Veranstaltungen wie diese in Jaffa machen mir immer besonders deutlich, wie weit ich gekommen bin. Man sitzt dort meist zwischen einem Mix aus Expats, den fünf Israelis, die sich für Expats interessieren und den Würdenträgern, die oft gar nicht so genau wissen, in welchem Land sie sich gerade befinden. Irgendwo diskutieren zwei Deutsche über Nahostpolitik, ein Israeli erzählt begeistert von seinem neusten Projekt und es wird viel englisch mit allerlei wilden Akzenten gesprochen. Und am Ende sitzen nur noch die Deutschen zusammen und jammern ein bisschen und finden doch alles auch irgendwie ziemlich toll.

Ich weiss nicht mehr, wie lange es gedauert hat, bis ich in Israel zum ersten Mal zu einem solchen Event eingeladen wurde. Ich weiss auch nicht mehr so richtig, wie es sich anfühlte, dort hinzugehen und kein Wort zu verstehen, wenn doch mal jemand hebräisch sprach. Aber während ich mich gestern von Gespräch zu Gespräch hangelte, fliessend in allen drei Sprachen, zwischen zwei Kulturen, die so viel verbindet und doch so viel trennt, stellte ich auf einmal fest, dass ich mich unter dem harten Kern am Ende vielleicht am israelischsten fühlte. Nicht, weil ich als erstes und als letztes am Buffet stand, sondern eher, weil ich die Deutschen um mich herum nicht mehr unbedingt brauchte, um mich zu Hause zu fühlen.
Denn, woran ich mich genau erinnere, ist das Gefühl der Fremde, dass ich früher in Israel empfand und das auf solchen Veranstaltungen, wenn ich wieder eine Gurke unter Gurken war, schlagartig aufhörte. Ich erinnere mich an die vielen Fragen, das Zaudern und das Unverständnis, aber auch an die grossen Emotionen, die Israel in so einer deutschen Seele auslösen kann. Und daran, Menschen zu treffen, denen es genauso ging. Doch gestern sass ich zwischen meinen geliebten Gurken, die über die horrenden Preise im Gelobten Land und das Gefühl, zum ersten Mal eine Kippa zu tragen, diskutierten und ich freute mich, dass das alles schon längst hinter mir liegt.
Ich bin niemand, der eine ruhige See zum Segeln braucht, aber diese Vertrautheit, die ich mittlerweile in diesem Land, mit diesem Land, empfinde, beglückt mich trotzdem zutiefst. Ich, die ein ganzes Buch darüber geschrieben hat, wie wahnsinnig sie es hier am Anfang fand. Ich, die sich in Israel lange wie ein Zug kurz vor der Abfahrt gefühlt hat. Ich, die in Israel echte Inspiration fand und das Land trotzdem viel zu oft beleidigte. Ich fühlte mich plötzlich am israelischten unter meinen Mitkämpfern.
Als ich eigentlich schon, um eine Erkenntnis reicher, nach Hause gehen wollte, entdeckte ich plötzlich unter den Gästen eines meiner grössten Schriftsteller-Idole. Dort sass er, Alexander Osang. Der erste Journalist, dessen Namen ich mir merkte und dessen Kolumnensammlung „Berlin-New York“ ich mir in Stralsund aus der Stadtbibliothek auslieh, als ich gerade Abitur machte. Ein Autor, von dem ich sogar eine Gebrauchsanweisung für Abricht-Dicken-Hobelmaschinen mit Begeisterung lesen würde. Und von dem ich viel zu lange nicht wusste, dass er der neue Spiegel-Korrespondent im Land ist – was ein Zusammentreffen endlich realistisch werden liess.
Auf meinen Lesungen von „Guten Morgen Tel Aviv“ werde ich oft auf Ephraim Kishon angesprochen, an den so viele meiner Leser sich erinnert fühlen.
Und auch, wenn ich Kishon immer schon gerne gelesen habe, die wahre Inspiration für mein erstes Buch waren die Geschichten Alexander Osangs. Nun ist das mit Idolen so eine Sache. Man möchte sie treffen und möchte es doch nicht. Sie könnten überheblich sein, viel dümmer als man dachte oder im schlimmsten Falle gähnend langweilig. Osang war all diese Dinge nicht. Er berlinerte sich charmant durch die Konversation und sagte nicht einen einzigen dummen Satz. Und in diesem Moment war Osang die Brücke zwischen dem, was ich mal war, und dem, was ich nun bin. Als er fragte: „Ist es nicht erstaunlich, wie wohl man sich in Israel fühlen kann?“ nickte ich und dachte: „Ist es nicht erstaunlich, wie Menschen einem das Gefühl geben können, zu Hause zu sein.“
