MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kolumne einer jüdischen Autorin (sic!)

in Kolumne/Leben, Kultur & Sport

An jüdischen Feiertagen wird gerne gesungen. Aber nicht so wie man das in Deutschland oder der Schweiz aus der Kirche kennt. Israelis singen wild. In der Synagoge wird sogar im Takt mit der flachen Hand aufs Pult gehämmert.

Dieser Tage beginnt das Chanukka-Fest und eines der Lieder, das ich persönlich besonders mag geht so: Kol echad hu or katan…Jeder alleine ist ein kleines Licht, aber zusammen sind wir ein starkes Licht. Dieser Gemeinschaftssinn ist etwas, das in Israel wundervoll ist. Vielleicht geht es allen kleinen Völkern mit feindlich gesinnten Nachbarn so – in jedem Fall gefällt mir das an meiner Wahlheimat. Manche sagen sogar, dass Israelis deswegen so einen rauen Umgangston miteinander pflegen, weil sich alle gegenseitig wie Familienmitglieder behandeln. Und vor denen nimmt ja auch selten ein Blatt vor den Mund.

Chanukka-Lieder gehören zum Repertoire der Autorin (Bild: Pixabay)

Ein Blatt vor den Mund nehmen Israelis ja sowieso nie. Und deswegen überrascht es kaum, dass sie auch nicht besonders politisch korrekt sind. Jetzt ist es ja so, dass die jüdischen Israelis per se schon ein recht buntes Volk sind. Es gibt Juden mit blauen Augen, mit grünen und mit braunen. Haut- und Haarfarben in allen Schattierungen und fast jeder Israeli kann eine interessante Geschichte über seine Wurzeln erzählen. Und während es mit den äthiopischen Juden sogar schwarze Juden gibt, sind asiatische Juden äusserst selten. Und so ist es kein Wunder, dass es in Israel insgesamt wenig Asiaten gibt, die meisten sind philippinische Altenpfleger, daneben gibt es ein paar chinesische Bauarbeiter – beide nehmen die meisten Israelis nicht als echten Teil der Gesellschaft wahr. Und das ist nett ausgedrückt. Die irakisch-jüdische Oma meines Mannes hat eine Pflegerin von den Philippinen, die sie Maria nennt. Weil so die Pflegerin ihres verstorbenen Mannes hiess. Dass ihre „Maria“ eigentlich „Elsa“ heisst interessiert sie nicht sonderlich. Sehen ja eh alle gleich aus. Ausserdem denkt sie, dass Maria-die-eigentlich-nicht-Maria-ist zu Hause auf den Philippinen sicher kein Essen hat. Dass Maria-Elsa hier nur arbeitet, damit ihre drei Kinder zu Hause eine Universität besuchen können, hat sie unserer Zafta* bereits mehrmals – erfolglos – versucht zu verklickern.

Meine asiatischen Freundinnen Juyon (aus Korea) und Shirley (aus den USA) wiederum können die lustigsten und manchmal traurigsten Geschichten berichten, die ihnen hier in Israel widerfahren: Als Juyon vor 11 Jahren aus Hong Kong nach Jerusalem kam, sprach eine Frau im Fitnesscenter sie an, dass sie eine Reinigungskraft suche. Juyon antwortete darauf, dass sie auch auf der Suche war. Erst später begriff sie, dass die Frau wohl sie anstellen wollte. Und Shirley, immerhin eine Havard-Absolventin, wird in ihrer Nachbarschaft schon mal von Fremden gefragt, ob sie deren Hund ausführen könne. Sowieso gehen die meisten Israelis davon aus, dass die beiden Frauen, beide haben israelische Ehemänner und jüdischen Kinder, hier als Altenpflegerinnen seien. Dabei sind sie nicht einmal Filipinas. Ältere Männer, die ihnen Avancen machen, treffen sie trotzdem ständig. „Brauchst du einen Sugar Daddy?“, fragte erst neulich ein Taxifahrer Juyon.

Für mich als blonde, helläugige Deutsche funktioniert Rassismus in Israel eher umgekehrt. Ich finde es bei der deutschen Geschichte immer wieder überraschend, dass mir hier in Israel nichts als Begeisterung und Liebenswürdigkeit entgegenschlägt. Man geht fast automatisch davon aus, dass ich klug, wohlhabend und pünktlich bin. Und wenn ich mich über die „Kälte“ im israelischen Winter beschwere, schaut man mich an, als wäre ich Reiner Calmund in einer Selbsthilfegruppe für Magersüchtige.

Was zumindest Juyon und ich aber gemeinsam haben, ist, dass wir beide orthodox konvertiert sind. Und während Juyon Kommentare wie „Für mich bist du eh keine richtige Jüdin“ hört, sagt man mir eher so Sachen wie: „Wow, beeindruckend, du weisst bestimmt mehr als ich.“ Das gilt aber nur in Israel. Für deutsche Juden gehöre ich definitiv nicht zum Club. Für deutsche-Deutsche schon gar nicht. Noch nie (!) wurde ich in Deutschland als jüdische Autorin bezeichnet und auf Podiumsdiskussionen werde ich auch nie als Jüdin eingeladen. Dabei kann ich sogar alle Feiertagslieder auswendig! Die summe ich dann zur Beruhigung vor mich hin, wenn mich mal wieder eine deutsche „Wer ist eigentlich Jude“-Diskussion aufregt.

Israelis halten zusammen – aber nicht jeder gehört dazu (Bild: Pixabay)

*Oma auf Hebräisch

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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