MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Integration von Minderheiten in den israelischen Arbeitsmarkt: „Meine Verwandten haben mich bemitleidet, weil ich einen Job annahm“

in Israel Zwischenzeilen/Reportagen

Israels Agrarsektor spielt gemessen am Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) nur eine untergeordnete Rolle im Land. Für die Integration von Minderheiten, vor allem arabischen Frauen, in den israelischen Arbeitsmarkt könnte die Landwirtschaft jedoch eine wichtige Vorreiterrolle einnehmen. Die Organisation „Maan-WAC“ bemüht sich deswegen darum, dass, statt mehr Gastarbeiter ins Land zu holen, freie Stellen mit lokalen Arbeitskräften besetzt werden. Doch nicht nur die Lobbyistengruppen der Bauern unterstützen diese Vorgehensweise nur sehr zögerlich, auch die Vertreter der traditionellen arabischen Gesellschaften sind oftmals schwierig zu überzeugen…

Von Katharina Höftmann Alle Bilder: Naomi Leshem

Auch am Schabbat, dem jüdischen Ruhetag, sieht man auf den israelischen Feldern, die sich vor allem im Süden und Norden des Landes erstrecken, Arbeiter, die sich um die Ernte oder Bewässerung kümmern. Die meisten von ihnen sind Phillipinos und Thailänder, mehr und mehr sieht man auch afrikanische Flüchtlinge, die für die Arbeit in der Landwirtschaft akquiriert wurden. Mit ihren grossen Sonnenhüten fliegen sie wie Schatten über die Weizen- oder Maisfelder, bevor sie auf Fahrrädern irgendwann spät am Abend nach Hause radeln.

Gemessen am Anteil am BIP spielt die Landwirtschaft mit 2,6 Prozent nur eine untergeordnete Rolle in der israelischen Wirtschaft. Historisch gesehen hat der Agrarsektor jedoch eine grosse Bedeutung für den jüdischen Staat: Im alten Israel besass die Landwirtschaft eine zentrale Bedeutung, denn die drei grossen jüdischen Feiertage Pessach, Shavuot (das Wochenfest) und Sukkot (das Laubhüttenfest) stehen eng mit der Bebauung des Landes in Verbindung. In der Mischnah – der Niederschrift der mündlich überlieferten jüdischen Tradition – widmet sich ein ganzes Kapitel den Gesetzen zur Bebauung des Bodens. Auch im Zuge der zionistischen Bewegung behielt die Landwirtschaft im modernen Israel eine wichtige Rolle. Entgegen aller Widerstände wie unfruchtbaren Böden und besonders Wassermangel, stand die Besiedlung des Landes und Selbstversorgung seiner Bewohner im Zentrum der Bewegung. Junge Zionisten arbeiteten auf den Feldern und gründeten ländliche Gemeinschaftssiedlungen wie Kibbutzim und Moshavim.

Bild: Naomi Leshen
Bild: Naomi Leshen

Die Rolle der Landwirtschaft bei der Integration von Minderheiten in den Arbeitsmarkt

Auch wenn Israel im 21. Jahrhundert eher als Start-up-Nation als für den Export seiner Jaffa- Orangen bekannt ist, spielt die Landwirtschaft auch heute noch eine wichtige Rolle in der Wirtschaft des Landes. Sie steht symbolisch für die so essentiell-notwendige Integration von Minderheiten und für viele Fehler, die in der Vergangenheit in der Arbeitsmarktpolitik des Landes gemacht wurden. So wurden seit Mitte der Neunziger Jahre mehr als 300.000 Gastarbeiter ins Land geholt, die vor allem im Niedriglohnsektor wie der Landwirtschaft aber auch der Altenpflege oder in der Baubranche arbeiten. Ziel war es damals, aus Sicherheitsgründen die Zahl der Arbeiter aus den palästinensischen Gebieten zu reduzieren. Doch dass in den meisten arabischen Dörfern innerhalb des Landes extrem hohe Arbeitslosigkeitszahlen herrschen, schien niemand in diesem Zusammenhang in Erwägung zu ziehen.

3„Die Gastarbeiter sind zum Teil sehr qualifiziert, aber man erlaubt ihnen nur im Niedriglohnsektor zu arbeiten. Sie wurden ohne Grenzen ins Land geholt und haben das Land förmlich überschwemmt. Viele weitere sind illegal gekommen. Während arabische Israelis und Palästinenser genau wussten, was ihre Arbeit wert ist, müssen die Gastarbeiter zum Teil für Hungerlöhne arbeiten. Arbeitsgesetze werden nicht durchgesetzt. Damit stellen sie eine erhebliche Konkurrenz für Israelis dar, die eine geringe Ausbildung haben und ebenfalls ausschliesslich in einfachen Berufen arbeiten können“, beschreibt Daniel Gottlieb, Vizedirektor für Forschung und Planung am Sozialversicherungsinstitut in Israel, die Situation auf dem Arbeitsmarkt.

Bild: Naomi Leshen
Bild: Naomi Leshen

Israel ist ein Land mit einer sehr vielseitigen Bevölkerung aus ursprünglich rund 130 Ländern, das bietet viele Chancen. So gelten heterogene Gesellschaften als innovativer und durch die Vielfalt entstehen kreative Lösungen. Doch die Kehrseite ist, dass die wirtschaftliche Erfolgsgeschichte Israels längst nicht für alle Teile der Bevölkerung gilt. Für die langfristige Entwicklung der israelischen Wirtschaft ist vor allem die ausgewogene Erwerbsbeteiligung von grosser Bedeutung. Hier jedoch zeigen sich erhebliche Schwächen, neben der geringen Arbeitsbeteiligung orthodoxer Männer (diese liegt bei 40 Prozent) sind es vor allem arabische Frauen, die von einer hohen Arbeitslosenquote betroffen sind. Unter ihnen arbeiten lediglich 20 Prozent. Eine Zahl, die vor allem, da dieser Bevölkerungsteil demografisch gesehen sehr schnell anwächst, dringenden Handlungsbedarf erfordert.

Bild: Naomi Leshen
Bild: Naomi Leshen

„Wir kämpfen dafür, dass arabische Frauen in der Landwirtschaft arbeiten können“

„Es gibt grosse Missstände in der israelischen Landwirtschaft. Gastarbeiter werden von den Bauern ausgebeutet und gleichzeitig herrscht in den arabischen Dörfern eine hohe Arbeitslosigkeit. Wir kämpfen dafür, dass der Import von weiteren Gastarbeitern stark reduziert wird und stattdessen lokale Arbeitskräfte, im Besonderen arabische Frauen, in den Arbeitsmarkt integriert werden.“, erklärt Assaf Adiv von der Organisation „Maan-WAC“, einer unabhängigen Institution, die sich für die Rechte von Angestellten in Israel stark macht. Vor allem für diejenigen, die sonst niemanden haben, der für ihre Belange kämpft. Eines der wichtigsten erklärten Ziele der Organisation ist es, arabische Israelinnen in den Landwirtschaftssektor zu integrieren. Denn obwohl es einen Arbeitskräftemangel in diesem Bereich gibt, heuern Israels Landwirte immernoch lieber Gastarbeiter aus Thailand oder den Philippinen an, als Israelis. Das liegt auch daran, dass sie israelischen Arbeitnehmern Mindestgehälter, Sozialleistungen, Urlaubstage und Altersvorsorge gewährleisten müssen, während die Gastarbeiter sich mit sehr schlechten Arbeitsbedingungen zufrieden geben.

Die Mitarbeiter von „Maan-WAC“ besuchen Landwirte im ganzen Land und versuchen, sie von der Beschäftigung israelischer Arbeiter zu überzeugen. „Wir fordern die Bauern nicht auf, die Gastarbeiter zu entlassen, sondern lediglich neue offene Stellen mit lokalen Arbeitskräften zu besetzen, um so die Arbeitslosigkeitsrate im Land zu verbessern. Daneben bieten wir ihnen Vermittlungshilfe bei Problemen mit Arbeitskräften an und machen deutlich, dass die vorgeschlagenen Frauen den Anforderungen an die Arbeit genügen“, erklärt Adiv die Vorgehensweise. Wenn die Bauern einwilligen, koordiniert „Maan-WAC“ die Rahmenbedingungen für eine Anstellung. Für eine bessere Platzierung der verfügbaren arabisch-israelischen Arbeitskräfte besteht ausserdem eine enge Kooperation mit den Ministerien für Landwirtschaft und Arbeit. Daneben engagieren sich Adiv und seine Kollegen für eine einheitliche Gesetzesregelung, die einen weiteren Anstieg von Gastarbeitern unterbindet und sich stattdessen die Integration von lokalen Arbeitskräften zum Ziel setzt.

Bild: Naomi Leshem

Eine geregelte Arbeit kann die finanzielle Situation der gesamten Familie verbessern

Dass die Arbeitslosenzahlen unter arabischen Frauen so hoch sind, liegt jedoch nicht nur an einer mangelnden Integration seitens des Staates und der Arbeitgeber sondern auch den immer noch sehr traditionellen Strukturen in der arabischen Gesellschaft. „Meine Verwandten haben mich anfangs bemitleidet, weil ich einen Job annahm“, berichtet „Maan-WAC“-Mitglied Wafa Tiara (32). Sie dachten, dass der Ehemann der vierfachen Mutter nutzlos sei, weil er ihr erlaubte, zu arbeiten. Geduldig und ausdauernd erklärte Wafa Tiara ihrer Familie und auch anderen Frauen in ihrem Dorf die guten Gründe für eine Anstellung und überzeugte so viele von ihnen, ebenfalls eine Arbeit anzunehmen. Die Überzeugungsarbeit in den traditionellen, meist muslimischen, arabischen Familien ist nicht immer einfach. Aber wenn die Männer der Familie verstehen, dass eine geregelte Arbeit der Frau die finanzielle Situation der gesamten Familie deutlich verbessern kann, steigt auch die Bereitschaft zur Kooperation. Daneben bietet „Maan-WAC“ Weiterbildungskurse für arabische Frauen an und begleitet sie intensiv in dem gesamten Prozess.

Mehreren Hunderten von Frauen hat „Maan-WAC“ bereits eine geregelte Arbeitsstelle vermittelt. Damit trägt die Organisation nicht nur zu einer besseren Situation des israelischen Arbeitsmarktes bei, sondern unterstützt die Gleichberechtigung arabischer Frauen in Israel. Darüber hinaus fördert diese Integration in den israelischen Arbeitsmarkt nicht zuletzt den Dialog zwischen jüdischen und arabischen Gemeinden im Land.

Weitere Informationen:

 

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

Die neusten Artikel von Israel Zwischenzeilen

Nach Oben