„Drei Kinder sind definitiv eins zu viel, wenn du mich fragst.“
Diese Feststellung zu meiner Familienplanung liess neulich meine Mutter durch das Telefon verlauten, während ich gerade unsere Haustür in Tel Aviv öffnete. Ich liebe meine Mutter sehr. Sie hat oft Recht. Immerhin hat sie mehr als 30 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet und nicht umsonst heisst es, dass Lehrer immer Recht haben. Aber bei diesem Satz, spürte ich einen Knoten im Bauch.
Denn dieser Satz ist ein bisschen symptomatisch dafür, warum es in Deutschland nicht genug Kinder gibt. Gespräche zur Familienplanung mit meinem israelischen Schwiegervater laufen da ganz anders: Ich: „Hm, zu viele Kinder kosten ja auch wahnsinnig viel Geld. Vielleicht sind zwei Kinder auch genug.“ Schwiegervater: „Nina, das Geld findet sich immer, darüber mach‘ dir mal keine Sorgen.“
Nun könnte man meinem Schwiegervater, der sich ganz sicher deutlich weniger um seine Kinder als meine Mutter sich um mich gekümmert hat (ich spreche vom Windel wechseln, Händchen halten, Tränen abwischen), eine gewisse Realitätsferne vorwerfen, aber ich glaube, das ist es nicht. Selbst säkulare Familien haben in Israel in der Regel zwischen drei und vier Kinder. Beim Frauenarzt sitzen im Wartezimmer zu 90 Prozent schwangere Frauen. Spielplätze sind immer voll. Und auch in Restaurants wimmelt es nur so vor Kinderstühlen. Für Israelis sind Kinder einfach das Non-Plus-Ultra. Lebensziel und -inhalt. Und das Ganze passiert, ohne dabei so ein Aufsehen darum zu machen, wie die berühmt berüchtigten Latte-Macchiato-Mütter aus dem Prenzlauer Berg. Ohne gesellschaftliche Diskussionen darüber, was Mütter sollen und dürfen und müssen und wollen sollen. Auch die Studie zum Thema „Regretting Motherhood“, die ja immerhin von einer israelischen Soziologin durchgeführt wurde, hat man in Israel praktisch gar nicht wahrgenommen, während in Deutschland direkt ein Buch darüber rausgekommen ist.
Ich lese viele Artikel und Kommentare darüber, warum es in Deutschland nicht genügend Kinder gibt. Warum gerade gut ausgebildete Frauen sich oft gegen das Mamasein entscheiden. Es geht um Chancengleichheit, Gleichberechtigung und die Rolle der Politik. Aber ganz ehrlich, wenn man mich fragt, fängt das Problem viel tiefer an. Denn die schwarz-auf-weiss Bedingungen sind in Israel, einem Land mit nur drei Monaten Elternzeit (nur für die Mutter noch dazu!) und schweineteurer Kinderbetreuung (erst ab drei Jahren unterstützt der Staat dabei) viel schlechter!
Aber beobachten Sie in Deutschland einmal die Blicke der anderen Passagiere in der Tram/U-Bahn/S-Bahn/Bus, wenn eine Mama mit vier Kindern einsteigt. Da werden Sie viel Verwunderung bis Ablehnung sehen. Eine Mutter mit vier Kindern ist in Israel hingegen etwas völlig normales. Ihr wird weder gehuldigt noch wird sie verachtet. Das liegt zu grossen Teilen auch an den israelischen Männern. Sie wollen Kinder. Nicht nur eins, nicht nur zwei, sondern am liebsten drei. Und wenn es dann, wie bei meiner Freundin J., in der dritten Runde Zwillinge werden, freuen sie sich immer noch als wäre es das erste Mal. Und ja, sie freuen sich nicht nur, sie kümmern sich auch. Sie spielen und wischen Kaki ab, sie geben Flaschen und singen in den Schlaf.
Und auch der Rest des sonst gerne mal etwas rücksichtslosen Landes hilft beim Buggy schleppen oder rast für einen durch den Supermarkt, wenn man mit Kind an der Kasse feststellt, dass man etwas vergessen hat. Gestöhne, wenn ein Kind weint oder Krach macht, habe ich in sechs Jahren noch kein einziges Mal gehört. Und während meine Eltern halb angenervt im israelischen Safari-Park sagen: „Mein Gott, sind hier viele Kinder“, fällt das (auch älteren) Israelis überhaupt nicht erst auf.
Ich weiss noch nicht, wieviele Kinder ich bekommen möchte. Vielleicht habe ich nach dem zweiten genug, vielleicht fühlt es sich dann schon perfekt an. Vielleicht auch nicht. Was ich aber ganz genau weiss, ist, dass ich das nicht kategorisch ausschliesse. Es ist für mich kein Lebenskonzept, auf keinen Fall mehr als zwei Kinder zu haben. Diese Einstellung verdanke ich auch Israel.