Viele Angehörige von Geiseln haben das Gefühl, dass sich kaum noch jemand für ihre in Gaza gefangenen Liebsten interessiert. Mit dem Krieg im Libanon, gerät die Situation in Gaza mehr und mehr aus dem Fokus. Die Familien der Hamas-Geiseln haben deshalb jetzt bei einer Veranstaltung zum ersten Jahrestag des verheerenden 7. Oktobers viele ausländische Diplomaten eingeladen. Ziel der Veranstaltung war es, „weltweite Aufmerksamkeit“ auf die Notlage der Geiseln zu lenken“, so das Forum.
Neben Reden von ehemaligen Geiseln sowie von Angehörigen der noch immer festgehaltenen Personen, kamen auch mehrere ausländische Diplomaten zu Wort: „Ich möchte, dass alle ihre Familienangehörigen wissen, nicht nur die amerikanischen Staatsbürger, sondern alle: Wir tragen die Geschichten Ihrer Angehörigen mit uns“, betonte beispielsweise die Stellvertretende US-Botschafterin Stephanie L. Hallet. „Wir erzählen diese Geschichten und tragen sie jeden Tag in unseren Herzen. Das ist nicht nur Arbeit, die wir tun, um der Arbeit willen, es ist Teil von uns.“
Ihre Worte wurden von dem britischen Botschafter Simon Waters und dem deutschen Botschafter Steffen Seibert aufgegriffen, die in einer Mischung aus Hebräisch und Englisch sagten, dass die Botschafter die Geiseln und ihre Familien im Stich gelassen hätten und sich nun fragen müssten, ob sie wirklich alle möglichen Optionen ausgeschöpft hätten.
„Die Gespräche über einen Waffenstillstand und einen Geiseldeal sind seit einigen Wochen ins Stocken geraten“, sagte der deutsche Botschafter Steffen Seibert und wies darauf hin, dass Israel derzeit vor allem mit der Hisbollah im Libanon zu kämpfen hat. „Wir müssen bereit sein, nach neuen Wegen zu suchen. Jede neue Idee, jeder neue Vorschlag ist es wert, geprüft zu werden – nichts sollte tabu sein.“
Die ehemalige Geisel Aviva Siegel, die im vergangenen November während einer einwöchigen Waffenruhe freigelassen wurde, berichtete von ihren Erfahrungen in der Gefangenschaft und von ihrer Angst um ihren Ehemann Keith, der bis heute in Gefangenschaft ist. Siegel erzählte, dass sie in den Hamas-Tunnel unter konstanter Atemnot und Hunger gelitten hatten. Sie erinnerte sich daran, wie sie Pitabrot versteckte, und als eine andere Geisel ihr sagte, dass das Brot bald mit Schimmel bedeckt sein würde, antwortete: „Keine Sorge, ich esse es auch mit dem Schimmel.“ Siegel berichtete auch, dass die Terroristen die jüngeren weiblichen Geiseln in winzige Kleider steckten und sie zu „Puppen, Marionetten“ machten. Sie erzählte auch von einem anderen Fall, in dem eine junge weibliche Geisel mit vorgehaltener Waffe aufgefordert wurde, einen Wachmann zu begleiten, der sie dann an den Haaren zog, zu Boden warf und sie mit einem Stock schlug, während er und drei weitere Terroristen auf sie einprügelten.
Die 62-Jährige berichtete auch von ihrem emotionalen Abschied von ihrem Mann: „[Der Hamas-Wachmann] kommt in mein Zimmer, kniet nieder und sagt: ‚Du, morgen, Israel‘, und ich sage: ‚Nein, nein, nein, nein, nein, Keith und ich‘. Er sagt zu mir: ‚Du gehst jetzt. Israel, dein Name. Keith, morgen.‘ Siegel bat darum, Keith noch einmal zu sehen, aber der Terrorist lehnte ab. Daraufhin stiess sie ihn beiseite und lief zu ihrem Ehemann. Siegel kämpfte mit den Tränen, als sie sich an ihre letzten Momente mit ihrem Mann erinnerte: „Ich sah ihn an und sagte ihm, dass ich gehen muss. Ich umarmte ihn, und so habe ich ihn verlassen.“ Der 65-Jährige Keith Siegel ist immer noch in Hamas-Gefangenschaft. Und mit ihm mehr als 100 andere.