MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Israel: Schlaraffenland für Schlangen

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Israel ist für vieles bekannt, nicht aber für seine hervorragenden Bedingungen für Schlangenforscher und -fans. Ganze 42 Arten gibt es in dem kleinen Nahoststaat – viele von ihnen können auf engstem Raum in der Negev-Wüste gefunden und bewundert werden. Wir haben uns mit zwei Schlangenforschern auf den Weg gemacht…

Von Katharina Höftmann

Aviad Bar war neun Jahre alt, als er das erste Mal eine Giftschlange in sein Elternhaus in einem kleinen Ort am Rande der Negev-Wüste brachte. Verstecken wollte er sie, in dem Kasten der Klimaanlage, doch bevor er dazu kam, hatte sein verängstigter Bruder schon den Eltern Bescheid gesagt. Mittlerweile ist Aviad 46, hat drei Kinder, lebt in der Nähe vom Flughafen Ben-Gurion und arbeitet als Experte für Epidemiologie für das Gesundheitsamt – Schlangen sind aber nach wie vor seine grösste Leidenschaft. Mehrmals pro Jahr fährt er nach Afrika oder Ost-Asien, um Schlangen zu sehen und erforschen. In Israel bietet er Touren für andere Schlangenfans an. Er ist einer der bekanntesten Schlangenexperten im Land – und hilft oft freiwillig aus, zum Beispiel, wenn irgendjemand in seinem Garten eine Schlange findet, und bei Aviad Bar das Telefon klingelt.

Aviad Bar mit Schlangen in der Negev-Wüste in Israel (Bild: Privat).

Wir treffen ihn gemeinsam mit dem Schweizer Herpetologen André Stehlin, der nicht nur über eine der grössten und ausführlichsten Sammlungen von Büchern über Schlangen verfügt, sondern selbst seit Jahren die ganze Welt bereist, um Schlangen zu sehen, zu erforschen und zu fotografieren: „Meine erste Schlange war eine aus dem damaligen Persien importierte Wasserschlange. Später erlaubten mir meine Eltern auch mäusefressende Schlangen zu kaufen. Irgendwann war mein ganzes Zimmer voller Terrarien. In meinen Hoch-Zeiten hatte ich etwa 200-250 Schlangen, Klapperschlangen, Kobras, Vipern, heute habe ich nur noch etwa 30“, erzählt Stehlin im Wagen auf dem Weg in die Negev-Wüste und fügt mit leuchtenden Augen hinzu: „Jede Schlange ist so einzigartig, die Farben. Das ist wie ein Bild von Van Gogh oder Rembrandt.“ Aviad Bar nickt zustimmend, „das faszinierendste an Schlangen war für mich als Kind, das sie nicht leicht zu finden waren. Man musste nach ihnen suchen, ihr Habitat kennen, die Techniken, um sie zu fangen.“ Anders als Stehlin besitzt Bar heute nur eine Schlange und die unfreiwillig: „Jemand hat sie gefunden und mich gerufen, aber es ist eine kalifornische Schlange, weswegen ich sie nicht freilassen darf und kann. Deshalb lebt sie nun bei uns in einem Terrarium im Garten.“

Viel Schutz für die Kriechtiere in Israel

Das Halten von Giftschlangen ist in Israel verboten. Überhaupt hat der jüdische Staat viele Restriktionen zum Schutz der Kriechtiere erlassen: Sämtliche 42 Schlangenarten, die es im Land gibt, stehen unter Artenschutz. Sie dürfen weder gefangen noch getötet werden. Wenn man, so wie Bar und Stehlin auf nächtliche Schlangentour in der Wüste gehen will, muss man dies anmelden. Nicht jeder darf einfach so in die Gebiete, in denen viele Schlangen leben, die Tiere sollen möglichst in Ruhe gelassen werden. Auch das hat dazu geführt, dass Israel mittlerweile für viele europäische Herpetologen ein beliebtes Forschungsgebiet geworden ist: „Wir haben ideale Bedingungen, weil wir genau zwischen Europa, Afrika und Asien liegen, findet man hier viele verschiedene Arten. Die Verbreitungsgebiete sind sehr klein und liegen nah beieinander, so dass man bei einem Ausflug wie unserem heute viele verschiedene Arten sehen kann. Oft kommen die Schlangenfans mit einer Liste, welche Tiere sie sehen wollen und ich plane dann dementsprechend die Ausflüge.“

Die Hornviper bei unserer Wanderung in der Negev-Wüste in Israel (Bild: Aviad Bar).

Aviad Bars kindliche Leidenschaft, die Schlangen zu finden und aufzuspüren, kann man noch heute beobachten, wenn man mit ihm unterwegs ist. Er folgt Spuren akribisch und hochkonzentriert, weiss genau, wann die Schlange sich nur gedreht hat und wann sie tatsächlich abgebogen ist. Um eine Sandschlange zu finden, gräbt er auch schon mal ein Mauseloch aus, in das die Schlange laut der Spuren verschwunden sein muss. Dank seiner Geduld und Professionalität sehen wir in dieser Nacht viele Schlangenarten: Die Wüsten-Hornviper, die Avicennaviper und die Gekrönte Schnauzennatter. Wir haben Glück, aber sind auch am richtigen Ort, denn die meisten israelischen Schlangenarten leben in der Wüste. Lediglich die Palästinaviper und die Libanesische Bergotter leben im nördlichen Israel. Die beste Zeit, um sie zu sehen, ist übrigens zwischen April und November.

Hornviper in Israel

Die Angst der meisten Menschen vor Schlangen sei übrigens ungerechtfertigt, erklärt Bar lächelnd: „Wenn man von einer Schlange gebissen wird, ist man entweder ein Glückspilz oder ein Dummkopf. Die Wahrscheinlichkeit, auf eine Schlange zu treten, die einen dann auch noch angreift, entspricht in etwa der Wahrscheinlichkeit, im Lotto zu gewinnen. Und wenn man eine Schlange sieht und ihre Warnsignale ignoriert und dann gebissen wird, ist man einfach nur doof.“ Die wenigsten Schlangen seien aggressiv oder darauf aus, Menschen anzugreifen. Trotzdem wurde der Schweizer Schlangenexperte André Stehlin, anders als sein israelischer Kollege, schon ein paar Mal gebissen. Aber natürlich auch deswegen, weil er versucht hat, die Schlangen zu fangen oder von ganz Nahem zu fotografieren. In Australien musste man ihm einst ganze drei Mal ein Gegengift spritzen, bis die Symptome eines Giftschlangenbiss‘ verschwanden. In Namibia wurde ein Mal sein ganzer Finger schwarz von einem Biss: Mitten im Busch. Bis heute ist der Finger taub.

André Stehlin ist ein Schweizer Schlangenexperte – gebissen wurde er bereits mehrmals (Bild: KHC).

„Israel hat nur zwei Antivenine vorrätig“, erklärt Bar auf Nachfrage, „gegen die Schlangenarten, die wir heute in der Wüste gesehen haben, gibt es kein Antigift. Da behandelt man dann nur die Symptome der Vergiftung, zum Beispiel Herzprobleme.“ Sowieso, das betont auch Stehlin, sei der Mensch viel gefährlicher für die Schlangen als umgekehrt: „Vor allem der Klimawandel ist eine grosse Bedrohung für viele Schlangenarten“, warnt Stehlin, „Andererseits muss man aber auch sagen, viele Forscher glauben, dass Tiere lange brauchen, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen aber das stimmt nicht immer: Nehmen Sie die Tigerotter in Tasmanien, die lebten ursprünglich nur auf dem australischen Festland. Angekommen auf den Inseln mussten sie schnell lernen, grösser zu wachsen, weil die einzige Beute grössere Vögel waren. Mittlerweile zeigen Untersuchungen, dass die DNA der Tigerottern auf dem Festland mit der der Schlangen auf den Inseln deckungsgleich ist. Insofern besteht Hoffnung, dass sich die Schlangen an die neuen Gegebenheiten gewöhnen.“

In Israel ist zumindest keine der Schlangenarten vom Aussterben bedroht. Hier rasselt die Hornviper quicklebendig über die Wüstendünen und die Avicennaviper gräbt sich kunstvoll in den feinen Sand ein – Alltag im Schlangenschlaraffenland.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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