MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Mit der Rückkehr der Geiseln endet ihr Leidensweg nur bedingt

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

„Bin ich noch am Leben?“, das fragte die gerade einmal 19-Jährige Naama Levy nachdem sie monatelang alleine in einem dunklen Tunnel gefangen gehalten wurde, als sie wieder anderen israelischen Geiseln in Gefangenschaft begegnete.
Naama Levy kam am vergangenen Samstag gemeinsam mit drei anderen jungen Soldatinnen, die am 7. Oktober brutal von der Hamas gefangen genommen wurden, im Rahmen des Geiseldeals frei. Die Hamas hatte die jungen Frauen, die als Späherinnen völlig unbewaffnet auf einer Militärbasis an der Grenze zu Gaza am 7. Oktober ihrem Schicksal überlassen wurden, schwer verletzt in ihren Schlafanzügen entführt.

„Was die Soldatinnen betrifft, so wurden wir Zeugen der schrecklichen Bilder ihrer Entführung, einschliesslich der Tötung ihrer Kameradinnen. Wir wissen jetzt von ihrer langen Gefangenschaft. Wir wissen, dass Naama monatelang allein in einem Tunnel verbracht hat, und als sie herauskam, wusste sie nicht, ob sie noch am Leben war, ein völliger Realitätsverlust. Das ist ein komplexes Trauma mit anhaltendem Stress und lebensbedrohlicher Gefahr“, erklärt Dr. Einat Yehene, Leiterin der Rehabilitationsabteilung in der Gesundheitsabteilung des Forums für Geiselfamilien.

Eine bessere Behandlung direkt vor ihrer Freilassung

Die Geiseln berichteten auch, dass sich ihre Behandlung in den Tagen vor ihrer Freilassung verbessert habe, dass sie duschen und ihre Kleidung wechseln durften und besseres Essen erhielten. Vor allem aber berichten sie von den horrenden Umständen, in denen sie mehr als ein Jahr gefangen gehalten wurden. Dazu gehört, dass man sie hungern liess und schwere Wunden nicht versorgte. Aber dazu gehören natürlich auch Folter und sexueller Missbrauch.

Die Euphorie über die Rückkehr der Geiseln in den letzten zwei Wochen teilt Dr. Yehene nur bedingt: „Wir wissen, dass der Medienrummel nach den ersten Tagen endet und die Botschaften wie ‚sie ist immer noch dasselbe lebhafte Mädchen‘ weder der Person selbst noch anderen und ihrem Zustand helfen.“

Dr. Yehene hat mit freigelassenen Geiseln aus früheren Austauschprogrammen gearbeitet und ihre Schlussfolgerungen sind besorgniserregend: „Wir wissen von Menschen, die fünfzig Tage in Gefangenschaft verbracht haben, dass keiner von ihnen jemals wieder in diese Welt zurückgefunden hat. Die Integration ist schwierig und die Menschen leiden unter komplexen posttraumatischen Symptomen. Einige der Entführten gehen mit Therapiehunden spazieren, andere können nirgendwo ohne Familienmitglieder hingehen. Sie leiden auch unter Nährstoffmangel und einem Gefühl der völligen Entfremdung.“
In dieser Woche sollen sechs weitere israelische Geiseln freigelassen werden. Drei am Donnerstag, darunter Arbel Yehoud, deren Freilassung von der Hamas verzögert wurde, Agam Berger, die ebenfalls am 7. Oktober von der Militärbasis entführt wurde und eine lebende männliche Geisel. Drei weitere lebende Männer sollen am Samstag freigelassen werden.

Die Euphorie nach der Rückkehr von vier jungen israelischen Geiseln aus Gaza war gross: Sie zeigt aber nur einen Ausschnitt der komplexen Realität (Bild: Presse).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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