MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Kommentar zum Internationalen Holocaust-Gedenktag: 
Lenkt nicht ab!

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Der irische Präsident hat den internationalen Holocaust-Gedenktag genutzt, um während der Zeremonie Parallelen zwischen dem Leid der Juden im Zweiten Weltkrieg und dem Leid der Palästinenser in Gaza zu ziehen. Als sich daraufhin Mitglieder der jüdischen Gemeinde Irlands aus Protest wegdrehten, wurden sie gewaltvoll aus dem Saal gezerrt.

Ein vereinzelter Totalausfall eines immer antisemitischer werdenden europäischen Landes? Mitnichten.

Im deutschen Wochenmagazin „Der Spiegel“ nahm man den Gedenktag als Anlass, ein Interview mit dem äusserst umstrittenen israelischen Historiker Omer Bartov zu veröffentlichen: Bartov hatte bereits kurz nach dem 7. Oktober 2023 appelliert, den Terrorangriff der Hamas nicht mit dem Holocaust zu vergleichen, denn dies würde die „Ursachen der Gewalt in Israel-Palästina verzerren“ und „antiarabischen Rassismus fördern“. Im aktuellen Interview anlässlich des Holocaustgedenktages beschuldigte er Israel nicht nur, die Shoa politisch zu instrumentalisieren, sondern auch, sie als Persilschein für „Unmenschlichkeit“ zu nutzen. Das steht da schwarz-auf-weiss in deutscher Sprache! Solchen abstrusen Meinungen eine Bühne zu bieten, wäre schon an jedem anderen Tag des Jahres empörend – am Internationalen Holocaustgedenktag ist es schlichtweg perfide.

All das ist nicht neu. Die so genannten „Post-Kolonialisten“ behaupten schon seit Jahren, dass der deutsche Völkermord an den Juden zu viel Aufmerksamkeit bekäme. Und sie bedauern seit dem 7. Oktober lauter denn je, dass man Israel nicht mit noch mehr Antisemitismus übergiessen darf, weil es wegen des Holocausts angeblich eine Zensur gäbe. Und ja zu diesen Verirrten gehören auch jüdische Stimmen. Genauso wie es Frauen mit internalisierter Misogynie gibt, gibt es auch Juden und Israelis, die nicht unterscheiden können zwischen legitimer Israel-Kritik und blindem Hass auf den einzigen jüdischen Staat der Welt. Ein Staat, der nicht nur eine Heimstätte für Shoa-Überlebende und vertriebene Juden aus muslimischen Ländern darstellt, sondern der natürlich eine besondere Erinnerungskultur für das Verbrechen pflegt, dem sechs Millionen Juden zum Opfer gefallen sind. Ein Verlust, von dem sich die jüdische Bevölkerung übrigens bis heute nicht erholt hat: Vor dem Holocaust, im Jahr 1939, betrug die jüdische Weltbevölkerung etwa 16,6 Millionen Menschen – 80 Jahre später sind es gerade einmal 15,7 Millionen.

Unverschämte Vergleiche

Kommentare die nahelegen, dass das berühmte „Never again“, ein Slogan der nach der Shoa geprägt wurde, eben nicht nur für Juden gelten darf, sondern auch für diejenigen, die den jüdischen Staat seit seiner Gründung attackieren und bedrohen, verkennen nicht nur die Einzigartigkeit des Holocausts, sie verstehen auch nicht, welche Lehren daraus gezogen werden sollten, dass so ein Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung überhaupt möglich war. Vergleiche zwischen dem Leid der Zivilbevölkerung in Gaza und den Juden, die von deutschen Nationalsozialisten zu Millionen gequält, enteignet, in Viehwaggons abtransportiert, vergast und verbrannt wurden, hinken nicht nur – sie sind eine Unverschämtheit. Wenn man unbedingt einen Vergleich braucht, um sich die Komplexität der Situation zu verdeutlichen, ergäbe eher der zur deutschen Zivilbevölkerung in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs einen Sinn. Auch dort hatte man Judenhasser mit wehenden Fahnen unterstützt und musste dann bittere Konsequenzen für den Krieg tragen, in den man mit ihnen gezogen war.

Wie verkommen ist die Welt, wie schnell hat sie die Shoa relativiert und vergessen, wenn sich Juden 2025 nicht nur gegen den schon immer dagewesenen Antisemitismus wehren, sondern sich nun auch noch für ihr Gedenken an den Völkermord rechtfertigen müssen? Aber das Schlimmste an diesen abstrusen, völlig verqueren Diskussionen: Sie lenken davon ab, was eigentlich wichtig ist. Der Antisemitismus weltweit explodiert. Juden auf der ganzen Welt leben so gefährdet wie lange nicht mehr. Jüngere Generationen haben oft kaum noch Wissen über den Holocaust. Und 80 Jahre nach der Shoa sind an einem Tag so viele jüdische Menschen gestorben, wie zuletzt während der Shoa und fast 90 von ihnen sind immer noch in der Hand von Terroristen – und dass nachdem man Juden jahrzehntelang ein „Never again“ vorgegaukelt hatte. Wer davon ablenkt, in dem er Juden vorwirft, nun selbst die „neuen Nazis“ zu sein, hat nicht nur nichts verstanden. Er sorgt auch aktiv dafür, dass sich Verbrechen gegen Juden aus der Nazizeit wiederholen können.

Israel ist nicht perfekt, so wie kein Land perfekt ist. Und natürlich sind Menschen in Israel extrem von transgenerationalen und selbst erlebten Traumata geprägt. Aber einen Staat zu haben, der Juden ohne Wenn und Aber schützt und ihnen eine Heimat bietet, ist nicht nur für die wenigen Shoa-Überlebende, die es noch gibt, eine wichtige Lebensversicherung. Es ist auch ein Garant für jüdisches Leben in der Zukunft. Und ironischerweise beweisen die Leute, die Israel völlig masslos anklagen, genau das. Niemand muss Israel eine Sonderbehandlung zukommen lassen, aber wenn man es auf dermassen antisemitische Art verteufelt, beweist man nur, wie wichtig es ist, dass immer wieder über die Shoa gesprochen wird. Und wie wichtig es ist, dass es einen jüdischen Staat gibt, der seine Bürger verteidigen kann.

Verkommt der internationale Holocaust-Gedenktag vielerorts zu einer Farce? (Bild: Presse).

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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