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Ein Jahr 7. Oktober: Ganz Israel trauert

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Nicht einmal in Ruhe trauern liess man das israelische Volk: Ganze drei Raketenalarme in Tel Aviv und mehrere im Norden und Süden des Landes trieben die Leute auch am 7. Oktober in die Bunker. In Tel Aviv kamen die Raketen morgens aus Gaza, nachmittags aus dem Jemen und abends aus dem Libanon. Niemand hätte am 7. Oktober gedacht, dass ganz Israel ein Jahr später immer noch mitten im Krieg steckt, das immer noch mehr als hundert Geiseln in Gaza gefangen halten werden, dass man immer noch nicht in Ruhe über die unfassbaren Dinge, die am 7. Oktober vor einem Jahr geschehen sind, trauern kann.

Auch der Dizengoff-Platz wurde zu einem Ort der Trauer (Bild: KHC).

Das Militär verbot den Einsatz von Sirenen zum Gedenken an den Jahrestag des tödlichsten Terroranschlags in der Geschichte des Landes, und dennoch standen Tausende um 6.29 Uhr schweigend auf – zu dieser Zeit am frühen Morgen hatten palästinensische Terroristen ihren Angriff am 7. Oktober 2023 begonnen. Tausende Israelis reisten in die Grenzregion des Gazastreifens, um an den Gedenkfeierlichkeiten teilzunehmen und die Gemeinden und Kibbuzim zu besuchen, die ein Jahr, nachdem Terroristen sie in Kriegsgebiete verwandelt hatten, noch immer in Trümmern liegen. Auf dem Gelände des Nova-Festivals, das in eine riesige Gedenkstätte für die mehr als 360 getöteten Partygäste umgewandelt wurde, legten Angehörige, Freunde und andere eine Schweigeminute neben Präsident Isaac Herzog ein. Auch auf vielen Friedhöfen im Land fanden Gedenkveranstaltungen statt.

In Jerusalem versammelten sich Angehörige der Geiseln und Hunderte von Unterstützern vor dem Privathaus von Premierminister Benjamin Netanjahu und liessen um 6.29 Uhr eine zweiminütige Sirene ertönen. Einige standen stoisch da, während die Sirene heulte, während andere leise weinten. „Es war ein albtraumhaftes Jahr“, sagte Eli Albag, dessen Tochter Liri Albag eine von fünf jungen Soldatinnen ist, die vom Stützpunkt Nahal Oz entführt wurden und immer noch in Hamas-Gefangenschaft sind.

Das Publikum bei der Trauerveranstaltung der Geiselfamilien zum 7. Oktober in Tel Aviv (Bild: Presse).

Abends fanden die Gedenkveranstaltungen statt, wobei es zwei offizielle Gedenkveranstaltungen gab – das verdeutlicht gut, wie tief die israelische Gesellschaft gespalten ist: Eine Veranstaltung wurde von der israelischen Regierung organisiert, die andere von Angehörigen der Geiseln und Opfern des 7. Oktobers. Der israelische Premierminister lobte bei der staatlichen Zeremonie die Reaktion seiner Regierung auf den 7. Oktober, während Angehörige der Opfer bei der alternativen Gedenkveranstaltung die Regierung aufforderten, endlich Verantwortung zu übernehmen und eine offizielle Untersuchung in Auftrag zu geben, die analysiert, wie es zum schlimmsten Massaker an Juden seit der Shoah kommen konnte. Die alternative Zeremonie legte ausserdem ein besonderes Augenmerk auf die noch in Gaza gefangenen Geiseln und integrierte darüber hinaus auch arabische Opfer des 7. Oktobers in die Trauerzeremonie.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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