MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Was wird aus den israelischen Flüchtlingen?

in Israel Zwischenzeilen/Wirtschaft & Innovation

Mehr als 125.000 Israelis mussten wegen des aktuellen Kriegs ihre Häuser, ihre Arbeitsplätze und ihre gewohnte Umgebung inklusive Schulen, Kindergärten etc. verlassen, das betrifft sowohl Menschen von der Grenze zu Gaza als auch welche von der Grenze zum Libanon. Die Regierung kündigte an, dass Hunderte von Millionen Schekel in einen Notfallfonds fliessen würden, um die Evakuierung und die Bezahlung der Hotels für die Exilanten zu ermöglichen. Bei den Hotels kam es jedoch zu massiven Verzögerungen bei den Zahlungen der Regierung. Die Finanzierung von Unterkünften war mehr als chaotisch.

In der Zwischenzeit haben die Evakuierten keine Arbeit, keine Schule und keine andere Form von Struktur oder Routine, da sie von all diesen Dingen weggerissen wurden. Auch die medizinische Versorgung ist zum Teil brüchig und chaotisch. Die schlimme Situation hat zu vielen freiwilligen Initiativen geführt. Es kann jedoch nicht die Aufgabe der israelischen Öffentlichkeit sein, für all diese Menschen zu sorgen. Die Regierung hat den Evakuierten zwar eine vollständige Befreiung von der Gemeindesteuer gewährt, doch hat sie diejenigen, die im Norden und Süden zur Miete wohnen, nicht berücksichtigt – und Menschen, die in Hotels evakuiert wurden, haben keinerlei Anspruch auf finanziellen Ausgleich. Bisher fehlt ein Plan, wie die Zukunft der über 100.000 Evakuierten aussehen soll.

Dazu kommt, dass das Verteidigungsministerium und die Tekuma-Verwaltung, die mit der Wiederherstellung der Grenzgebiete des Gazastreifens beauftragt ist, bis heute nicht in der Lage sind, das genaue Ausmass der Schäden mitzuteilen. Zu Beginn des Krieges machte sich, ebenfalls freiwillig, ein Team der israelischen Ingenieurvereinigung auf den Weg, um die Zerstörungen in den Kibbuzim Be’eri, Nir Oz und Nirim, wo am 7. Oktober Massaker verübt wurden, zu vermessen und zu kartieren, und kehrte mit erschreckenden Zahlen zurück: „Achtzig Prozent der Häuser in Nir Oz wurden schwer beschädigt. Alle Gebäude wurden entweder niedergebrannt oder so weit zerstört, dass nichts mehr intakt ist. In Be’eri sind es etwa 40 bis 50 Prozent der Häuser.“

Auch die Schäden, die über die der Gebäude hinausgehen, sind beträchtlich. „Dort, wo Panzer aktiv waren, gibt es Schäden an der Infrastruktur wie Kanalisation, Entwässerung und Wasser.“ Die Rückkehr in die Gemeinden an der Grenze zu Gaza wird also nicht nur aus Sicherheits-Gründen schwierig. Die Regierung hat bereits ein umfassendes Budget für einen Fünfjahresplan zur Wiederherstellung des Landes beantragt, der vor kurzem genehmigt wurde: rund 18 Milliarden Schekel (fast 4,5 Milliarden Euro, 4,25 Milliarden CHF), davon 8 Milliarden im kommenden Jahr. Das Finanzministerium hat nun bis Anfang nächsten Monats Zeit, die Haushaltsmittel für den Plan vorzulegen.

Was die Schätzung der Wiederherstellungskosten angeht, so ist es fast unmöglich, so viele Schäden in kurzer Zeit zu bewerten, erklärt Gilad Shitri, einer der Ingenieure, welche die Situation in den Kibbuzim an der Grenze zu Gaza begutachtet haben:

„Man kann als Faustregel nehmen, wie viel es kostet, ein Haus in einem Kibbuz abzureissen und wieder aufzubauen. Das einfachste Einfamilienhaus in Israel kostet 1,5 Millionen Schekel (ca. 375.000 Euro, 355.000 CHF), und das ist der niedrigste Standard, den es gibt.“ Wenn es in Be’eri 390 Haushalte gibt, von denen etwa 50 Prozent abgerissen und neu gebaut werden müssen, kommen wir also bei grob geschätzten Kosten von 1,5 Millionen Schekel pro Haus auf Ausgaben von fast 300 Millionen Schekel (ca. 75 Millionen Euro, 71 Millionen CHF) für die Wiederherstellung von Privathäusern ohne öffentliche Infrastruktur allein im Kibbuz Be’eri.

Unter den Flüchtlingen regt sich erster Widerstand gegen die Unklarheit und das Chaos: Bewohner des nördlichen Israels, die wegen der anhaltenden grenzüberschreitenden Angriffe aus dem Libanon evakuiert wurden, protestieren vor dem Kibbuz Amiad in Galiläa gegen die Regierung und behaupten, sie seien im Stich gelassen worden.

Ein zerstörtes Haus im Kibbuz Be’eri – so sieht es in vielen der Dörfer an der Grenze zu Gaza nach dem Massaker vom 7. Oktober aus (Bild: תומר פרסיקו – Tomer Persico/Wikimedia Commons)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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