MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Spezielle Ausbildung für Traumabehandlung

in Israel Zwischenzeilen/Medizin & Wissenschaft

Es war nur eine kleine Nachricht, aber sie steht symbolisch für eine riesige Herausforderung mit der Israel derzeit neben den vielen anderen Problemen zu kämpfen hat: Der Busfahrer Haim Ben Aryeh, bekannt und beliebt in seiner Nachbarschaft als „Haim der Fahrer“ hat sich vor einigen Tagen das Leben genommen. Ben Aryeh war Zeuge der Massaker im Süden Israels am 7. Oktober geworden, als er Kinder des Kibbuz Be’eri retten wollte. Die Erinnerungen und Nachwirkungen dieser Erfahrung trieben den älteren Mann offenbar in den Tod.

Israels Gesundheitssystem hat über die Jahre relativ viel Erfahrung mit der Behandlung von traumatisierten Menschen gesammelt, bisher waren Behandlungen aber nie in einem Ausmass nötig, wie es momentan im Land gebraucht wird. Tausende Menschen, viele direkte Überlebende der Massaker sind schwerst traumatisiert. Sie alle adäquat zu behandeln, ist eine extreme Herausforderung und Belastungsprobe für das Land und seine Psychologen. Viele Sozialarbeiter und Psychologen haben direkt nach dem Massaker ihre Hilfe angeboten, aber nicht wenige waren von den Dingen, die ihnen erzählt wurden, selbst völlig überfordert: „Die meisten klinischen Psychologen sind nicht für die Behandlung von Traumata ausgebildet, und nicht allen ist der Unterschied zwischen der Behandlung eines akuten Traumas und einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) klar“, erklärt Dr. Anna Harwood Gross in der Times of Israel. Gross ist klinische Psychologin und Forschungsleiterin am Metiv-Israel Trauma Center in Jerusalem. Sie und andere Experten für Trauma und Traumatherapie in Israel tun ihr Bestes, um psychologische Erste-Hilfe-Schulungen für psychiatrische Kollegen anzubieten, die den Hunderttausenden von Israelis in Not helfen wollen.

Eine ähnliche Initiative leitet die Reichman University in Herzliya, die in einem beeindruckenden Program seit dem 7. Oktober bereits mehr als 120 Psychologie-Studierende in Traumata-Erste-Hilfe als so genannte „Rezilienz-Coaches“ geschult haben. Diese Coaches kontaktieren Betroffene und bieten neben drei ersten kurzen Telefonaten weitere Hilfeleistungen mit bis zu 12 Termine bei erfahrenen Psychotherapeuten der Universität an.
Eine weitere Initiative bringt Überlebende des Nova-Festivals zusammen. Dabei wird nicht nur ein Raum zum gemeinsamen Erinnern angeboten, sondern es wurden bereits Dutzende Überlebende für eine Kurz-Reha nach Zypern gebracht, um dort mit Sozialarbeitern die Erfahrungen aufzuarbeiten.

Viele dieser Initiativen werden allerdings privat finanziert und geplant. Sie basieren oftmals auf viel Freiwilligenarbeit. Ein Sprecher des israelischen Gesundheitsministeriums erklärte gegenüber der Times of Israel, dass das öffentliche Gesundheitssystem seit Beginn des Krieges darauf hinwirkt, dass die psychologische Erstversorgung aller Israelis von optimaler Qualität ist. „Zu diesem Zweck haben wir Schulungen und Auffrischungskurse für medizinisches Personal, darunter Hausärzte, Kinderärzte und Psychotherapeuten, durchgeführt. Darüber hinaus haben wir zur Unterstützung der Fachkräfte vor Ort Schulungen für Freiwillige und Fachleute aus verschiedenen Fachbereichen durchgeführt“, so der Sprecher. Das Gesundheitsministerium unterhält nach eigenen Angaben auch Resilienz-Zentren, die psychosoziale Unterstützung anbieten, und führt regelmässig Trauma-Schulungen für Mitarbeiter des öffentlichen psychosozialen Systems durch.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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