MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

„Ich glaube an die Macht der Kunst“

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport/Reportagen

Wasser und Öl mischen sich nicht, das erzählt die Künstlerin Noa Brosh erklärend zu ihrem Videoprojekt „Disconnect“ (Verbindungsabbruch) und meint damit politische Gegner aller Art. In der Videokunst sieht man abstrahierte Öl- und Wassertropfen und hört dazu den Ton von einer Demonstration, an der Brosh teilgenommen hatte. Ihr Werk war in der Ausstellung Bloch34Reaction zu sehen, die gerade in Tel Aviv zu Ende gegangen ist. Es ist eine der wenigen Ausstellungen bisher gewesen, die sich dezidiert der aktuellen politischen Situation in Israel widmete und gleichzeitig eine der spannendsten der lokalen Kunstwelt in den letzten Jahren. Die Hauptkuratorin Lola Liat Levy Azran hat in nur drei Wochen Vorbereitungszeit eine Ansammlung an Kunstwerken zusammengestellt, die nicht nur alle über eine starke Message verfügen, sondern künstlerisch zu den anspruchsvollsten und interessantesten Arbeiten im Land gehören. Wir haben mit Azran über ihre Arbeit als Kuratorin und darüber, warum Kunst unbedingt auch politisch sein soll gesprochen…

Zwischenzeilen (ZZ): Sie haben mit Bloch34Reaction eine sehr beeindruckende Ausstellung in einem Gebäude in Tel Aviv kuratiert, das demnächst abgerissen werden soll – warum widmet sich die Ausstellung ausgerechnet der aktuellen politischen Krise Israels?

Lola Liat Levy Azran (LLLA): „Responding Art. Zeit der Krise“ ist aus dem Bedürfnis heraus entstanden, zu handeln und Stellung zu beziehen. Die Initiatoren, zwei Architekturstudenten, Yuval Ziv und Eilon Brosh, sowie eine Gruppe von Studenten und ich als Chefkuratorin, haben förmlich gespürt, dass die Strassen brennen. Für uns alle war klar: Es ist eine Zeit der Krise. In Tagen, in denen die Ansichten sich immer mehr polarisieren, kamen bei uns, wie bei jedem anderen Israeli auch, immer neue Fragen auf, die sich auf Identität, Zugehörigkeit und vor allem auf unseren Platz als Individuen und unsere Verantwortung für die Gegenwart und Zukunft dieses Ortes beziehen. Wir hatten drei Wochen Zeit, diese Fragen zu klären. Es war eine einmalige Chance, in Zeiten der Krise durch Kunst zu reagieren.

ZZ: Wieviele Künstlerinnen und Künstler haben an der Ausstellung teilgenommen?

LLLA: Wir haben einen Aktionsraum geschaffen und dafür Künstler aus dem gesamten Spektrum eingeladen, mit allen möglichen Mitteln zu reagieren. Mehr als 50 Künstler beteiligten sich mit fast 60 Werken an der Ausstellung.

Die Kuratorin Lola Liat Levy Azran vor dem Kunstwerk von Noa Brosh (Bild: Instagram).

ZZ: Warum in einem Gebäude, das schon in wenigen Wochen nicht mehr stehen wird?

LLLA: Die Idee, in einem Gebäude in Tel Aviv auszustellen, das kurz vor dem Abriss steht, geht auf die aktuelle politische, soziale und kulturelle Situation im Land zurück. Es ist die beste Metapher dafür, dass unser Boden in Israel wackelt, unsere Werte angegriffen werden und unsere Demokratie nicht mehr sicher ist. Ich spüre diese Art von Zerbrechlichkeit in dem Zustand des Gebäudes und in der Atmosphäre und Situation Israels im Moment.

Das Gebäude in der Tel Aviver Blochstrasse 34 wird bald abgerissen (Bild: Khc).

ZZ: Man läuft durch 12 verschiedene Wohnungen, in deren Räumen die unterschiedlichste Kunst aufgestellt ist…

LLLA: Als ich mit dem Kuratoriumsprogramm für die Ausstellung begann, wusste ich, dass ich die 12 Wohnungen so belassen wollte, wie sie sind. Ich wollte, dass sich die Kunst mit den Wänden, den Böden und allem, was in den Wohnungen noch vorhanden war, verbindet. Ich war so begeistert von dem Leben, das die Menschen zurückgelassen haben.

ZZ: Wie sind Sie auf das Gebäude gekommen?

LLLA: Wir hatten Glück, denn Eylon Brosh, einer der Mitinitiatoren der Ausstellung, ist der Sohn des Eigentümers, und das hat es uns ermöglicht, das Gebäude zu nutzen und es nach meinen künstlerischen Vorstellungen zu gestalten. Ausserdem ermöglichte die Tatsache, dass die Ausstellung in einem privaten Gebäude stattfand und unabhängig und frei von jeglichen Beschränkungen durch eine Institution war, den Künstlern und mir eine künstlerische Freiheit, die gerade bei unserem gewählten Thema so entscheidend ist.

Eine starke Präsenz von weiblichen Künstlerinnen

ZZ: Nach welchen Kriterien haben Sie die Künstler ausgewählt?

LLLA: Wir haben einen offenen Aufruf an verschiedene Künstler zur Teilnahme gestartet, um ein breites Spektrum an unterschiedlichen Standpunkten zu erhalten und Hunderte von Anfragen erhalten. Darüber hinaus habe ich mich an bestimmte Künstler und Werke gewandt, die meiner Meinung nach unbedingt Teil des Projekts sein sollten. Bei der Auswahl der endgültigen Teilnehmer habe ich mich an den folgenden Grundsätzen orientiert, die für den Erfolg der Ausstellung wichtig und unerlässlich waren, ich wollte:
Die Teilnahme von jungen Künstlern, darunter einige, die noch nie ausgestellt haben.
Eine starke Präsenz von weiblichen Künstlerinnen.
Künstler aus einem breiten Spektrum von Hintergründen und Medien.
Werke, die sich mit dem politischen, sozialen und kulturellen Klima auseinandersetzen.

ZZ: Was muss Kunst haben, um relevant zu sein?

LLLA: Es ist die Pflicht eines Künstlers, die Zeit und den Zeitgeist zu reflektieren. Kunst muss sich einerseits mit Fragen und Konflikten auf der persönlichen Ebene und andererseits auf der öffentlichen und universellen Ebene auseinandersetzen. Die Kunst muss den Test der Zeit bestehen, aber das Wichtigste ist für mich, dass sie einen nicht apathisch zurücklässt.

Israelische Künstler haben nicht die künstlerische Freiheit, die sie sich wünschen

ZZ: Was ist besonders an israelischer Kunst?

LLLA: Es gibt hier nicht die eine Antwort. Der israelische Kunstmarkt ist heute voller junger Talente, und er agiert in einem Land voller Konflikte. Ich kann sagen, dass sie in vielen Fällen mit der lokalen Identität zu tun hat, eine Vielzahl von Medien und Stilen verwendet. Das komplizierte Alltagsleben aus der Sicht des Künstlers wird mit dem öffentlichen Raum vermischt. In einigen Fällen versucht sie, Veränderungen zu schaffen, aber auch den Status zu reflektieren.

ZZ: Welchen Herausforderungen stehen Künstler im Land gegenüber?

LLLA: Eines der Hauptprobleme, mit denen Künstler in Israel zu kämpfen haben, ist die fehlende Unterstützung durch die Regierung, vor allem wenn sie nicht in deren politische Agenda passen. Israelische Künstler haben nicht die künstlerische Freiheit, die sie sich wünschen, weil es an finanziellen Mitteln und Unterstützung mangelt.

ZZ: Welche Reaktionen gab es auf die Ausstellung?

LLLA: Die Ausstellung war ein phänomenaler Erfolg. Wir hatten in 9 Tagen fast 6000 Besucher, und die Reaktionen waren äusserst wunderbar und überwältigend. Die meisten Besucher waren berührt und bewegt, als sie durch die Räume gingen und die Videokunst, die Skulpturen, die Fotos usw. betrachteten. Viele drückten ihre Gefühle von Schmerz und Leid, aber auch von Hoffnung aus. Im Gespräch mit den Besuchern sagte man mir, die Ausstellung sei wirklich kraftvoll, relevant und etwas, das jeder Israeli im Moment sehen müsse. Sie spiegelt unser Leben durch Kunst in Echtzeit wider. Die Tatsache, dass unsere Reaktion unmittelbar war, ermöglichte den Menschen eine emotionale Verbindung. Sie sahen sich selbst in den Kunstwerken.

Die Werke setzten sich mit vielen kritischen Themen auseinander, darunter häusliche Gewalt (Bild: Khc).

ZZ: Sie arbeiten seit mehr als 20 Jahren in der Kunstszene, wie sind Sie in die Branche gekommen?

LLLA: Meine formale Ausbildung habe ich in Geisteswissenschaften absolviert, aber ich betrachte mich als Autodidaktin, die ununterbrochen lernt und immer wieder neue Fragen stellt. Ich studiere, lehre und beschäftige mich seit mehr als 25 Jahren mit Kunst in verschiedenen Formen, von der Arbeit als Dozentin über die Kunstberatung bis hin zur Leitung von Kultur- und Kunstprojekten. Mein erster Job nach dem Abschluss meines B.A.-Studiums in Geschichte war die Leitung einer Galerie in New York. Danach habe ich mein Kunststudium in Florenz, Italien, fortgesetzt und seitdem an vielen Kunstprojekten in Italien und Israel mitgewirkt.

Kann Kunst die Welt verändern? Kunst soll politisch sein, glaubt Azran (Bild: Khc).

ZZ: Was kommt nach Bloch34Reaction?

LLLA: Ich bin immer in Bewegung. Ich arbeite mit privaten Sammlern auf der ganzen Welt und rund um die Uhr, hauptsächlich in Italien und in Israel. Ausserdem bin ich als Kunst- und Kulturberaterin für Kunstinstitute und kommunale Einrichtungen tätig. Aktuell arbeite ich auch an einer neuen Ausstellung, die sich mit moralischen Aspekten der Künstlichen Intelligenz befasst, vor allem mit dem Status der Frau und dem Feminismus, und ich bin auch an verschiedenen Projekten beteiligt, die sich auf junge Talente und Avantgarde-Kunst an alternativen städtischen Orten konzentrieren.

ZZ: Kann Kunst die Welt verändern?

LLLA: Ich glaube an die Macht der Kunst. Ich weiss, dass Kunst die Menschen beeinflussen kann und dass jede Gelegenheit, sich der Kunst auszusetzen, ein Mittel zur Veränderung sein kann.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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