MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Riskante Rettungsaktion für eine Bibel in Äthiopien

in Israel Zwischenzeilen/Leben, Kultur & Sport

Es ist eine Geschichte wie aus einem Film: Als die Familie von Ayanawo Ferada Senebato in den neunziger Jahren von Äthiopien nach Israel flüchtete, mussten sie ein jahrhundertealtes Psalmenbuch zurücklassen, das in Ge’ez geschrieben ist, einer semitischen Sprache, die von jüdischen Geistlichen in Äthiopien verwendet wird. Das Buch vertrauten sie ihren nichtjüdischen Nachbarn an, die es sicher aufbewahren sollten, bis die Familie es eines Tages holen konnte. Von Israel aus verfolgten sie den Verbleib des Buches mehr als 30 Jahre lang und gaben die Hoffnung nie auf, es zurückzubekommen – selbst als ihr Heimatland in einen Bürgerkrieg geriet und das Buch in den Händen eines christlichen Priesters landete, der nun ein hohes Lösegeld für die Herausgabe verlangte.

Jetzt sind Senebato und seine Cousins in den Norden Äthiopiens gereist, um das Buch, eine Version der Bibel in einem alten Dialekt, die schon ihren Vorfahren gehörte, nach Israel zu bringen. Die Männer hatten einen Tipp von in Äthiopien lebenden Freunden ihrer Grossmutter erhalten, dass der christliche Priester, der das Buch jahrelang besessen hatte, verhaftet worden war und Geld brauchte, um aus dem Gefängnis zu kommen. Während der Priester zuvor mehr als 10.000 Dollar für die Herausgabe des Buches verlangt hatte, willigte er nun, da er in Geldnot war, ein, sich für 1.200 Dollar von dem Buch zu trennen.

Selbst Menschen, die Amharisch sprechen, können in der Regel nicht in Ge’ez lesen oder kommunizieren. Die Sprache des Buches kann daher nur von einer kleinen Gruppe geistlicher Führer des äthiopischen Judentums entziffert werden, die heute grösstenteils in Israel leben.

Letzte Woche wurde das Buch im Haus von Mentasnut Memo, einem Priester, der in Kiryat Gat im Süden Israels lebt, zum Gebet benutzt, wahrscheinlich zum ersten Mal seit mindestens 34 Jahren. Er fand auf einer Seite des Buches den Namen von Senebatos Ururgrossvater, Erqshen Sequin, eingekritzelt. „Ich war sehr stolz und aufgeregt, als ich das Buch las und den Namen meines Vorfahren fand“, sagte Senebato. Seine Familie hofft, das Buch, in dem einige Seiten beschädigt sind, aber das insgesamt in einem guten Zustand ist in Israel zu restaurieren. Auch, um es der äthiopischen Gemeinde in Israel zur Verfügung stellen zu können. Sie hoffen, damit einen Beitrag zur Stärkung der schwindenden Identität zu leisten.

Ayanawo Ferada Senebato mit der wertvollen Bibel aus Äthiopien (Bild: https://www.facebook.com/ayanawo)

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

Die neusten Artikel von Israel Zwischenzeilen

Nach Oben