MAGAZIN – LEBEN IN ISRAEL

Interview mit Prof. Gabriel Izbicki: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich sofort impfen lassen würde.“

in Israel Zwischenzeilen/Medizin & Wissenschaft

Prof. Gabriel Izbicki, ursprünglich aus der Schweiz, leitet die Station für Lungenheilkunde am Shaare Zedek Medical Center in Jerusalem. Er arbeitet seit Monaten an einer Studie über die Langzeitfolgen der Corona-Erkrankung. Wir haben mit ihm über das Virus und den heiss ersehnten Impfstoff gesprochen…

Das Interview führten Zo Flamenbaum und Katharina Höftmann-Ciobotaru

ZZ: Sie behandeln Corona-Patienten in Jerusalem seit Ausbruch der Pandemie – warum ist dieses Virus so gefährlich?

Prof. Izbicki: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens: Wir wissen immer noch nicht viel über das Virus, mehr als am Anfang, aber immer noch nicht genug. Zweitens: Die Infektiosität ist bei Corona sehr hoch, das heisst, Menschen infizieren sich sehr leicht damit. Und drittens: Wir haben immer noch keine spezifische Behandlungsmethode und auch keine Impfung. Dazu kommt natürlich: Viele Menschen, vor allem jüngere, denken, sie können nicht schwer an diesem Virus erkranken und das stimmt schlichtweg nicht.

ZZ: Die Impfung gegen das Covid-19-Virus wird dringend erwartet – bis Ende des Monats sollen vier Millionen Dosen des Pfizer-Impfstoffs in Israel ankommen. Werden sie uns unser normales Leben zurückbringen?

Prof. Izbicki: Lassen Sie mich für diese Frage etwas ausholen. Wir haben aktuell drei, vier Kandidaten für die Impfung. Auf der einen Seite stehen die Impfungen der Unternehmen Pfizer und Moderna. Auf der anderen stehen AstraZeneca und Johnson & Johnson. Die Impfung von Pfizer und auch Moderna basiert auf der Nutzung einer Messenger-RNA, eine Impfung dieser Art gab es bisher noch nicht. Und die RNA-Impfstoffe brauchen sehr spezifische Bedingungen, zum Beispiel müssen sie bei minus 70 Grad gelagert werden, was riesige Herausforderungen für die Herstellung, Lagerung und Logistik bei der Verabreichung des Impfstoffes darstellt.
Die anderen Unternehmen AstraZeneca und Johnson & Johnson arbeiten an einer Corona-Impfung, einem so genannten viralen Vektorimpfstoff – dieser besteht aus für den Menschen harmlosen Erregern, die ein oder mehrere Moleküle des Krankheitserregers tragen. Das ist eine sehr bewährte Methode. Und trotzdem kann ich auch hier nur zu einem vorsichtigen Optimismus raten, denn weiterhin sind viele, viele Fragen offen. Alle entwickelten Impfungen basieren bisher auf sehr kleinen Versuchsgruppen, bei Pfizer handelt es sich um ca. 44.000 Probanten, bei Moderna um 30.000 – die Hälfte davon hat den Impfstoff bekommen, die andere Hälfte ein Placebo. Das sind deutlich weniger Versuchspersonen, als normalerweise üblich ist. Wir wissen ausserdem wenig über die Wirksamkeit des Impfstoffs: wie lange er Menschen vor dem Corona-Virus schützen kann, beispielsweise. Ein paar Wochen? Monate? Jahre? Und vor welchem Krankheitsverlauf kann er uns schützen? Nur vor milden Corona-Verläufen? Oder auch vor ernsthaften Erkrankungen? Und wie wirkt er bei Menschen, die das Virus bereits hatten? Keine Ahnung. Reduziert er die Infektiosität? Keine Ahnung. Was sind mögliche Nebenwirkung auf lange Zeit gesehen? Keine Ahnung. Der Prozess, eine Impfung zu entwickeln dauert normalerweise an die zehn Jahre, hier wurde er dramatisch verkürzt.

Prof. Gabriel Izbicki behandelt seit Beginn der Pandemie Corona-Patienten (Bild: Privat).

ZZ: Viele Menschen sagen schon jetzt, dass sie sich nicht impfen lassen wollen. Was empfehlen Sie Ihren Patienten?

Prof. Izbicki: Die offizielle Position der Behörden ist klar: Alle sollen sich impfen lassen. Wenn sie mich persönlich fragen: Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich sofort impfen lassen würde. Ich würde vorher gerne noch mehr Studien mit mehr Versuchspersonen sehen und eventuell noch ein halbes bis ein Jahr länger warten.

ZZ: Was ist mit Personen aus Risikogruppen?

Prof. Izbicki: Nun, diese sind im Zweifel ja auch Risikogruppen für Nebenwirkungen. Im Prinzip muss man abwägen: diejenigen, die ein mehr oder weniger erträgliches Leben unter den Bestimmungen des sozialen Abstands führen können, die nicht viel reisen müssen etc. – die sollten sich noch nicht impfen lassen.

ZZ: Das Leben wird sich also nicht bald wieder normalisieren?

Prof. Izbicki: Ich glaube die Regeln des sozialen Abstands, das Tragen der Masken usw. sollte noch ein weiteres Jahr eingehalten werden. Selbst wenn wir eine wirksame Impfung haben, wird es dauern, bis wir alle Menschen impfen können. Wenn wir ordnungsgemäss Maske tragen, sozialen Abstand einhalten und uns regelmässig die Hände waschen, können 95 Prozent der Infektionen verhindert werden.
Und natürlich müssen die Regeln logisch und verständlich sein. Wenn Leute im Fernsehen sehen, wie Politiker keine Masken tragen oder aus dem Ausland zurückkehren, aber nicht in Quarantäne gehen oder wenn Regeln unlogisch sind, zum Beispiel riesige Geschäfte öffnen dürfen, aber kleine nicht, hören die Leute auf, die Regeln zu respektieren.

ZZ: Wie haben sie die Corona-Pandemie als Arzt bisher erlebt?

Prof. Izbicki: Für uns Lungenärzte ist diese Pandemie besonders stressig. Unsere Patienten husten, haben Fieber – sie sind potentiell alle eine grosse Bedrohung. Ich trage im Umgang mit meinen Patienten N-95 Masken und bleibe soweit es geht zwei Meter von ihnen entfernt. Am Anfang hatten wir einfach Mangel an Ausrüstung und haben da sogar Hilfe von NGOs wie „Adopt-a-Doc“ bekommen. Aber am Anfang war die ganze Situation sowieso anders. Das ganze Krankenhaus konzentrierte sich nur auf die Corona-Fälle. Alle anderen Stationen wurden praktisch geschlossen. Mittlerweile haben wir verstanden, dass dieses Virus uns noch eine ganze Weile begleiten wird und dass wir einen Weg, eine Routine finden müssen, um damit umzugehen. Inzwischen operiert das Krankenhaus wieder normal und kümmert sich zusätzlich um die Corona-Patienten.

ZZ: Professor Izbicki, vielen Dank für das Gespräch.

Redakteurin Katharina Höftmann Ciobotaru arbeitete im Auslandsbüro der dpa in Tel Aviv und für die WELT ONLINE. Sie lebt als freie Journalistin und Buchautorin in Tel Aviv («Guten Morgen Tel Aviv», «Die letzte Sünde»).

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